Pulled pork
Mit dem Grill kommt ein neues Modegericht zu Ehren: gezupftes Schweinefleisch. Fastfood-Restaurants zögerten nicht lange, sich dem Trend anzuschliessen.
Durch langsames Garen wirkt die Kruste wie lackiert; darunter steckt das schmelzende, schmackhafte Fleisch. ©Diana Danko
In den USA ist Grillen eine ernste Sache. Erzählen Sie einem Einwohner von North Carolina ja nicht, dass sein Nachbar ein besseres Pulled Pork zubereitet als er − das könnte leicht zur Schlägerei führen. Als Hauptbestandteil des kulinarischen und historischen Kulturerbes ist das Grillen von Schweinefleisch Ausdruck regionaler Identität, auf die man stolz ist und die von anderen unterscheidet: Wer verwendet zum Räuchern Hickory-, wer Apfelholz, wer würzt mit Ketchup-, wer mit Gewürzmischung, wer mit Essigsosse... Eine Frage von Identität, Zugehörigkeit, Tradition, bei der der Spass aufhört. Auch wenn oft über die verschiedenen Zubereitungen gestritten wird, herrscht in einem Punkt Einigkeit: Um ein Pulled Pork fachgerecht zu garen, sollte man viel Zeit mitbringen.
Low and slow
Dieses beliebte Gericht steht traditionell bei festlichen Zusammenkünften auf dem Speiseplan. Es wird aus Schweineschulter zubereitet; das grosse Stück Fleisch muss eingelegt, dann sorgfältig mit dry rub (eine Gewürzmischung aus Rohrzucker, Paprika, Pfeffer und Chili) eingerieben und schliesslich bei niedriger Temperatur auf dem Grill gegart werden. Auf die Glut werden Holzscheite gelegt, um das Fleisch während des Garens zu räuchern. Die niedrige Temperatur bewirkt eine lange Garzeit: Acht bis zwölf Stunden, doch selbst 24 Stunden sind für die grössten Stücke nicht zu lange. Diese Technik nennen die Amerikaner „low and slow“.
Nach dem Garen wird das Fleisch zum Ruhen in Aluminiumfolie gewickelt, dann „zupft“ man es mit zwei Gabeln leicht auseinander, um es auszufasern (Englisch: to pull, daher der Name des Gerichts). Durch das langsame, sanfte Garen schmelzen die Marmorierung und das Kollagen, die Aromen entfalten sich und verwandeln das Stück Fleisch in leckere, saftige und zarte Stücke. Ein köstliches Erlebnis, am besten mit Freunden an einem Sommersonntag zu geniessen, wenn man genug Zeit hat. Pulled Pork ist Slow Food in Reinform.
Gegensätze verbinden
Dessen exaktes Gegenteil sind Fastfood-Restaurants mit ihrem bekanntem Konzept, bei dem alles schnell gehen muss. Restaurantketten wie Wendy’s, Burger King oder McDonald’s servieren jeden Tag Tausende von Fastfood-Gerichten, in erster Linie Hamburger mit Pommes, an eilige Kunden, die nicht viel Zeit für ihre Mahlzeit opfern wollen. Im Handumdrehen wird serviert – und ebenso schnell verschlungen.
Auf der einen Seite Pulled Pork, auf der anderen Seite die Fastfood-Restaurants – das passt wie die Faust aufs Auge. Und dennoch geschah das Unmögliche: Das beliebte Pulled Pork hat seine Heimat Carolina verlassen und findet sich dort wieder, wo es niemand erwartet: In Fastfood-Restaurants weltweit.
Ein grenzenloser Erfolg
Seit Jahren sorgt gezupftes Schweinefleisch für Begeisterung. Im Schlepptau des Grill-Trends − der das Terrain bereitete, indem er zahlreiche Anhänger fand und schliesslich zum eigenen Fach der Kochkunst wurde − eroberte Pulled Pork zunächst die USA, von wo es in alle Kontinente exportiert wurde. Sich leichter Hand über geografische und soziale Schranken hinwegsetzend, taucht es in der Küche von Jamie Oliver auf, steht auf dem Menüplan der ersten Klasse von British Airways und hat sich sogar ein Plätzchen auf dem Mercato Centrale in Florenz erobert − dem Mekka der italienischen Gastronomie − wo es mit dem traditionellen Lampredotto (Sandwich mit Florentiner Kutteln) konkurriert.
Die grossen Fastfood-Ketten wie McDonald’s oder Subway wagten ebenfalls den Schritt; sie machten Pulled Pork weltweit bekannt, indem sie es als Spezial- oder ständiges Angebot auf ihre Karte setzten. Fertig gegart und gezupft, lässt es sich schnell mit Coleslaw (Krautsalat) in einem Brötchen anrichten und erfreut die Verbraucher mit exotischem und exquisitem Geschmack. Im Supermarkt findet man Pulled Pork als Fertiggericht oder als vorgekochtes Angebot. Wenn Sie sich von einem „Pulled Pork Burger“ verführen lassen, den man nur aus dem Gefrierfach nehmen und in der Pfanne aufbraten muss, dann prüfen Sie vorher, ob er nicht aus Wurstfleisch statt auf kleiner Flamme gegarter Schweineschulter besteht!
Pulled Pork erweist sich als wandelbar, wobei sich die verschiedenen Versionen immer weiter von der traditionellen Spezialität entfernen. Walkers, die bekannte englische Chipsmarke, hat sogar Chips mit Pulled Pork-Geschmack auf den Markt gebracht, während sich Kentucky Fried Chicken an „Pulled Chicken“ versucht... Sein Erfolg steht kurz davor, das Pulled Pork völlig zu zerzupfen!