Zucker am Pranger
Überreichlicher Zuckerkonsum schadet der Gesundheit; die Gesundheitsbehörden versuchen daher, den Konsum einzudämmen – ein Überblick.
Weiss oder braun – süsse Würfel, nur in Massen zu geniessen. ©Shutterstock/5PH
Zucker wird vorwiegend aus Zuckerrohr und Zuckerrüben gewonnen. Chemisch heisst er Saccharose; er besteht aus einem Glukosemolekül und einem Fruktosemolekül, die beide süss schmecken.
„Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht benötigen wir keinen Zucker in der Nahrung. Der Konsum sollte unter 10 % des Gesamtenergiebedarfs liegen“, empfiehlt Francesco Branca, Direktor der Abteilung Ernährung für Gesundheit und Entwicklung der Weltgesundheitsorganisation (Department of Nutrition for Health and Development, WHO). Das entspricht etwa 500 ml Süssgetränk oder 50 g Zucker (zwölf Kaffeelöffel) pro Tag. Nach der WHO verringert ein Anteil von freien Zuckern unter 10 % an der Gesamtenergiezufuhr das Risiko von Karies, Übergewicht und Fettleibigkeit beträchtlich.
Der Begriff „freie Zucker“ umfasst Monosaccharide (wie Glukose und Fruktose) und Disaccharide (wie Saccharose oder Haushaltszucker), die natürlicherweise in Honig, Sirups, frischen und aus Konzentrat hergestellten Fruchsäften sowie in Lebensmitteln und Getränken vorkommen, denen sie durch Hersteller, Köche oder Verbraucher zugefügt wurden1. Die Empfehlungen der WHO beziehen sich nicht auf Zucker in Obst, Gemüse oder Milch, da es derzeit keine Daten für deren mögliche Schädlichkeit gibt; vielmehr spricht die Nutzen-Risikoabwägung für den Verzehr von Obst und Gemüse.
„Wir essen viel zu viel freie Zucker“, betont Nathalie Jobin, Koordinatorin von Extenso, dem Referenzzentrum für Ernährung der Universität Montréal (Centre de référence sur la nutrition de l'Université de Montréal). „Zucker ist nicht nur unnötig, sondern erhöhter Verzehr begründet auch ein grösseres Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit und dadurch auch für Diabetes, Insulinresistenz und metabolisches Syndrom.“ Wer seinen Konsum an freien Zuckern effizient verringern will, sollte laut Expertin nach Getränken wie Wasser, Kaffee, Tee, Milch oder angereicherten pflanzlichen Getränken anstelle von Süssgetränken oder Säften greifen. Frisches Obst, Joghurt oder Kompott eignen sich hervorragend als Dessert.
Zucker-Steuer
Die Diskussion über Nährwert und die durch überreichlichen Zuckerkonsum verursachten Schäden wurde in den letzten Jahren intensiver. Die Internationale Zuckerorganisation (International Sugar Organization, ISO) beobachtet zunehmend Unternehmen, die Zucker in Lebensmittelprodukten verringern wollen. Mehrere Länder haben eine Zuckersteuer eingeführt – so z.B. Frankreich, das seit 2012 eine „Sodasteuer“ auf gezuckerte Getränke erhebt. Durch deren höheren Preis hoffen die Behörden, den Verbraucher vom Kauf abzuhalten. Ähnliche Massnahmen ergriffen auch Mexiko, die USA und Grossbritannien.
Andere Ansätze zielen auf Verringerung des Anteils freier Zucker in Lebensmitteln und Getränken. Die WHO nennt hier Nährstoffangaben auf Nahrungsmitteletiketten, Einschränkung des auf Kinder bezogenen Marketings für nicht-alkoholische zuckerhaltige Getränke sowie den Dialog mit der Nahrungsmittelindustrie über den Zuckeranteil in verarbeiteten Lebensmitteln.
„Heute spricht man nicht mehr von ‚langsamen‘ oder ‚schnellen‘ Zuckern, sondern vielmehr von Einfach- und Mehrfachzuckern und vor allem vom glykämischen Index“, bestätigt Valérie Ducommun, auf Sportlerernährung spezialisierte Ernährungsberaterin aus Genf. Ein und dasselbe Lebensmittel kann je nach Garmethode verschiedene glykämische Indexwerte aufweisen. Je länger z.B. Nudeln gekocht werden, desto höher ist ihr Indexwert – ‚al dente‘ haben sie einen niedrigeren glykämischen Index als weichgekocht. Auch der Gehalt an Proteinen oder Fetten beeinflusst die Glykämie.
„In der Praxis bevorzugen wir lange vor einem Wettkampf Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Wert. Je näher die Anstrengung rückt, desto mehr Lebensmittel mit hohem glykämischen Wert bauen wir in den Ernährungsplan ein“, sagt Valérie Ducommun. „Wir berücksichtigen ebenfalls die Verdaulichkeit von Lebensmitteln, und das sogar an erster Stelle.“ Sie empfiehlt, drei Stunden vor einer sportlichen Anstrengung Reis, Nudeln und Weissbrot; Proteine und Fette sollte man dann nur noch sparsam essen. Schokolade und Kekse sind zu vermeiden, da sie Fett enthalten und die Verdauung verlangsamen (abgesehen von fettarmen Keksen wie Lebkuchen). Süssgetränke werden erstaunlicherweise vor und während einer sportlichen Anstrengung eher empfohlen, da sie Flüssigkeit und über den Zucker Energie liefern. Allerdings ist bei der Auswahl Vorsicht geboten: Kohlensäurehaltige Getränke sollte man während einer Anstrengung vermeiden. Weiter empfielt sich, Konzentration und Zusammensetzung zu überprüfen; ein Getränk sollte schliesslich bei einem Wettkampf nie erstmals ausprobiert werden.
Neue Süssstoffe
Grosse Zuckermengen stecken in verarbeiteten Lebensmitteln, in denen man Zucker gar nicht vermutet. Die WHO nennt z.B. einen Esslöffel Ketchup, der 4 g (einen Teelöffel) freie Zucker enthält. Im vergangenen Jahrzehnt stieg der weltweite Zuckerverbrauch laut Internationaler Zuckerorganisation (International Sugar Organization) um 2 Prozent; sie schätzt die Jahresproduktion 2014 auf 172 Millionen Tonnen. Auf Entwicklungsländer entfallen heute 76 Prozent des weltweiten Konsums – ein Anteil, der in den nächsten Jahren vor allem in Asien weiter steigen dürfte. Nachfrage und aufwändige Produktion führten zu rasantem Preisanstieg für Zucker, animierte die Hersteller aber auch, neue, potenziell weniger gesundheitsschädliche Süssstoffe zu entwickeln.
Süssstoffe sollen den Geschmack eines Lebensmittels verändern und versüssen. Einige haben keine Kalorien, andere weniger als Haushaltszucker, wieder andere verursachen keine Karies, und eine vierte Gruppe ist sogar süsser als Zucker! Dazu gehören Saccharin, Aspartam, Acesulfam-K oder Stevia, eine Pflanze aus Südamerika. Sie ist arm an Kohlenhydraten, besitzt aber chemische Bestandteile von hoher Süsskraft, was sie zum interessanten Zuckerersatz macht. Die WHO arbeitet derzeit für einen Leitfaden an Studien zu bestimmbaren Auswirkungen alternativer Süssstoffe inklusive Stevia auf die Gesundheit.