Was an Ernährungsmythen dran ist
Food-Blogs, Stars und Wissenschaftler geben Anweisungen zur richtigen Ernährung. Für Konsumenten wird es immer schwieriger den Überblick zu behalten.
©iStock/RyanJLane – Kaum ein Monat vergeht, ohne dass Medien und soziale Netzwerke bestimmte Nahrungsbestandteile an den Pranger stellen.
Zucker, Salz, Fett – was haben diese drei Nährstoffe gemeinsam? Sie stehen zunehmend in der Kritik: als Dickmacher und als Krankheitsverursacher. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass bestimmte Zutaten oder Nahrungselemente in den Medien und sozialen Netzwerken an den Pranger gestellt werden. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass sich die Menschen in den Industrieländern einerseits immer mehr mit dem Thema Essen beschäftigen, andererseits aber mit der Flut an Informationen darüber überfordert sind, wie Christine Brombach, Forscherin am Department Life Sciences an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), erklärt: „Konsumenten suchen vermehrt nach einfachen Antworten beim Thema Ernährung. Bei diesem Thema fällt es schwer, zum Teil widersprüchliche Forschungsergebnisse in konkrete Handlungsweisen umzuwandeln. Dies fördert die Empfänglichkeit für einfache Botschaften, die bestimmte Zutaten in die Kategorien ‘gut’ und ‘böse’ einteilen.“
Sie beobachtet einen steigenden Einfluss von Food-Bloggern und Stars, die über die sozialen Medien ihre Essgewohnheiten teilen. „Wenn eine bekannte Persönlichkeit sagt „Seit ich diese Zutat nicht mehr esse, geht es mir viel besser“ hat das eine grössere Wirkung als Ernährungsempfehlungen von Fachleuten.“ Bei den Empfehlungen auf Blogs und Social Media steht allerdings oft das persönliche Empfinden im Vordergrund – und nicht wissenschaftlich belegte Fakten. Das führt dazu, dass Menschen immer häufiger auf Gluten oder Laktose verzichten, obwohl sie es eigentlich gar nicht müssten. Auch Zucker, Salz und Fett haben ein schlechtes Image – obwohl die Wissenschaft zu weitaus differenzierteren Schlüssen kommt. Welche aktuellen Ernährungstrends halten dem Faktencheck stand?
Gluten: Feindbild Weizen
Ungefähr 30% der US-Bürger reduzieren den Verzehr von Produkten, die Gluten enthalten1 – ein Protein, das in Weizen, Roggen, Dinkel und Gerste vorkommt. Der Umsatz mit glutenfreien Lebensmitteln hat sich weltweit zwischen 2007 und 2013 auf 2,1 Milliarden Dollar verdoppelt2. Allerdings leiden nur geschätzte 1% der Menschen in den USA und in Europa an Glutenunverträglichkeit3. Diese Bevölkerungsgruppe leidet in den meisten Fällen an der Autoimmunkrankheit Zöliakie: Der Verzehr von glutenhaltigen Produkten schädigt dabei die Dünndarmschleimhaut, wodurch die Aufnahme von Nährstoffen beeinträchtigt wird. Weitere Symptome sind Erschöpfung und Kopfschmerzen.
Wieso aber schwören immer mehr Menschen auf eine glutenfreie Diät? „Stars wie die US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow sagen, dass sie sich viel besser und unbeschwerter fühlen, seit sie auf Gluten verzichten. Daneben haben vor allem im deutschsprachigen Raum Bücher wie Dumm wie Brot und Weizenwampe dazu beigetragen, dass der Verzehr dieses Proteins mit geistiger Trägheit und Übergewicht assoziiert wird“, sagt Christine Brombach. Sie fügt hinzu, dass sich der Glutenanteil zum Beispiel in industriell hergestelltem Brot in den letzten 50 Jahren drastisch erhöht hat, da dadurch der Teig schneller aufgeht. Wissenschaftliche Belege für einen schädlichen Einfluss von Gluten auf den menschlichen Körper oder für positive Auswirkungen eines Glutenverzichts – ausser für Menschen, die an einer Unverträglichkeit leiden – gibt es allerdings nicht4.
Laktose: besser verdauen ohne Milch
Ähnlich wie bei Gluten verzichten viele Konsumenten auf Milchzucker, obwohl es keine wissenschaftlichen Belege für seinen schädlichen Einfluss gibt – ausser im Fall einer Laktoseintoleranz. Menschen mit Laktoseunverträglichkeit fehlt das Enzym Laktase, welches dafür verantwortlich ist, Milchzucker zu spalten. Geschieht dies nicht, wird dieser im Dickdarm von Darmbakterien vergoren, wobei die Betroffenen u.a. Blähungen oder Bauchschmerzen verspüren können. In Deutschland zum Beispiel leiden etwa 15% der Bevölkerung an dieser Intoleranz, allerdings konsumieren etwa 40% regelmässig laktosefreie Lebensmittel laut einer Befragung der Landesvereinigung Milch5.
„Wie Gluten wird Milchzucker mit einem diffusen Unwohlsein – wie Kopfschmerzen und Müdigkeit – in Verbindung gebracht“, bemerkt Christine Brombach. Wissenschaftlich erwiesen ist dieser Zusammenhang jedoch nicht. Es ist sogar so, dass laktosefreie Produkte etwa 100 mg Laktose pro 100 g Lebensmittel – so viel wie viele Käsesorten – enthalten6. Ein Artikel aus dem Jahr 2000 im Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics hat zudem gezeigt, dass selbst Menschen mit Laktoseunverträglichkeit nach einigen Wochen Gewöhnungszeit in Massen Milchprodukte zu sich nehmen können7.
Fett: Der Klassiker unter den Dickmachern
Lange Zeit galt es als sicher, dass zu viel Fett in der Ernährung zu Übergewicht und Arteriosklerose führt. Heute wird in der Forschung sehr differenziert mit dem Thema umgegangen: Entscheidend ist nicht, wie viel Fett jemand zu sich nimmt, sondern welche Art von Fett. Unterschieden wird zwischen den gesättigten Fettsäuren – welche vor allem in Milchprodukten und Fleisch vorkommen –, einfach ungesättigten – vor allem in Nüssen, Olivenöl und Avocados – und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Letztere kommen hauptsächlich in Raps-, Sonnenblumen-, Soja- und Leinöl vor. „Fett ist der Nährstoff, der dem Körper am meisten Energie zuführt. Neben dieser Eigenschaft haben Fette weitere positive Effekte für den menschlichen Körper: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren beugen beispielsweise einem zu hohen Cholesterinspiegel vor, was wiederum vor Arteriosklerose schützen kann“, sagt Christiana Gerbracht vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Und selbst für einen schädlichen Einfluss gesättigter Fettsäuren konnten bisher keinerlei wissenschaftliche Beweise gefunden werden. Sie führen entgegen weitverbreiteter Meinungen nicht zu einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankung8.
Eine viel diskutierte Studie von der Universitat de Barcelona, deren Ergebnisse 2016 vorgestellt wurden, zeigte, dass eine mediterrane Ernährung mit zusätzlicher Zufuhr von pflanzlichem Fett das Körpergewicht eher senkt als eine fettarme Diät9. Tim Spector, Professor für Genetische Epidemiologie am King’s College in London kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: In seinem 2015 erschienenen Buch The Diet Myth: The Real Science Behind What We Eat erklärt er, dass diejenigen Menschen schlank und gesund sind, die eine hohe Anzahl an Darmbakterien besitzen. Um diese zu fördern empfiehlt er eine ausgewogene Ernährung, worunter ausdrücklich auch fetthaltige Produkte zählen10.
Zucker: Der weisse Krankmacher
Ist Zucker so gefährlich wie Tabak und Alkohol? Immer mehr Menschen sind dieser Meinung. Schon 1972 warnte der US-Forscher John Yudkin in seinem Bestseller Pure, White and Deadly vor den Gefahren des Zuckers11. Seit 2015 empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), nur noch 10% des täglichen Kalorienbedarfs mit Zucker zu decken, was 50 Gramm oder zwölf Teelöffeln entspricht. Dieser Anteil sollte in Zukunft laut der Genfer Organisation sogar auf 5% sinken. Dabei geht es um den Zucker, der Speisen und Getränken beigemischt wird sowie in Honig, Sirups und Fruchtsäften enthalten ist. Wie ambitioniert diese Empfehlung ist, zeigt die Tatsache, dass in einer Dose Limonade oder Orangensaft bereits durchschnittlich zehn Teelöffel Zucker enthalten sind12.
Auch wenn heutzutage kein Experte einen hohen Zuckerkonsum empfehlen würde, so kommt es auch bei dieser Zutat darauf an, sie in einen grösseren Zusammenhang zu setzen. Laut Christiana Gerbracht kann der Verzicht auf Zucker eine unausgewogene Ernährung und wenig Bewegung nicht kompensieren. Sie fügt hinzu: „Das Gehirn benötigt eine gewisse Menge an Glukose. Zudem ist es auch so, dass bei Produkten mit Stevia, das von der Industrie als Ersatzsüssungsmittel verwendet wird, häufig u.a. aus Geschmacksgründen Zucker zugegeben wird.“
Salz: Vorsicht, hoher Blutdruck!
Speisesalz begleitet die Menschheit seit über 5000 Jahren. Schon die Sumerer verwendeten Salz zur Konservierung von Lebensmitteln. Die Zutat war so begehrt, dass römische Legionäre mit Salz bezahlt wurden. Im Mittelalter entstand der Ausdruck „Weisses Gold“.13 Und heute? Es herrscht Uneinigkeit darüber, in welchem Ausmass Salz für den menschlichen Organismus schädlich ist. Auf der einen Seite gibt es Studien, die zeigen, dass ein zu hoher Salzkonsum zu erhöhtem Blutdruck führt, was Schlaganfälle und Herzversagen nach sich ziehen kann. Der Grund: Salz halte Wasser im Körper zurück, wodurch das Herz Schwierigkeiten hat, dagegen anzupumpen. Der Blutdruck würde also steigen.
Andere aktuelle Studien belegen im Gegenteil, dass ein zu niedriger Salzkonsum das Risiko für Herzversagen erhöht. Dieser führe nämlich zu einer Ausschüttung von Hormonen, die den Blutdruck ansteigen lassen14. Fakt ist: Salz ist für viele Prozesse – wie zum Beispiel die Regulation des Säure-Basen-Haushalts – im Körper lebensnotwendig, wie Christine Brombach von der ZHAW erklärt. „Allerdings wird gerade in der industriellen Nahrungsmittelproduktion zu viel Salz verwendet. Die von der WHO empfohlene Tagesmenge beträgt 5 g Salz, was etwa einem Teelöffel entspricht. Wer wenig Fertiggerichte isst und beim Kochen wenig salzt, geht wenig Risiko ein.“