Rinderzunge "Evelyne"
Eine zerfledderte Schachtel aus einem Antiquariat in Berlin-Mitte bringt es an den Tag: Das Bankett zum 20. Jahrestag der DDR zelebrierte die kulinarischen Genüsse sozialistisch. Es war fast schon gemütlich.
Die gelbe, zerfledderte Schachtel, die eine Freundin in einem Antiquariat in Berlin-Mitte entdeckt hat, fasziniert uns sofort. Wir finden darin verblichene Fotos, seltsam vertraute Bilder eines Banketts. Sie zeigen Tische mit liebevoll drapierten Speisen, man spürt den Stolz des Gastgebers. Es muss ein wichtiger Anlass gewesen sein, auch wenn das Arrangement des Banketts nicht protzig, sondern eher bescheiden ist.
Auf einigen Tischen erklären Schilder die Speisen: „Weisskäse mit Obst“, „Rehkoteletts mit Südfrüchten“, „Arrangement aus Meer, Fluss und Teich“, „Verschiedene Salate, Fleisch, Fisch, Geflügel, Käse“. Eine besonders prächtige Platte ist mit „Rinderzunge Evelyne“ beschriftet. Andere Fotos zeigen Puppen und kleine Modelle von Mähdreschern. Schliesslich löst ein Schiffsmodell, womöglich aus Schokolade, das Rätsel: „20. Jahrestag“ steht auf seinem Schiffsbug, und auf dem Kamin prangt das Wappen der DDR.
Die Fotos stammen also vom 7. Oktober 1969, als der junge Staat seinen 20. Geburtstag feierte. Das Bankett wirkt sympathisch. Ähnlich – stelle ich mir vor – hätte ein Staatsempfang zum Beispiel in der Schweiz aussehen können. Die Bilder passen nicht so recht zum damaligen Feindbild, das wir uns von der DDR machten.
Stolz zeigt die Regierung mit diesem Bankett, was man erreicht hat – natürlich mit angemessener Bescheidenheit, man hat nicht übermässig viel. Auf einem Zettel in der ominösen Schachtel steht der Vermerk „Johannishof“: In dieser ehemaligen Zigarrenfabrik an der Friedrichstrasse fanden damals die grossen Empfänge der Ost-Berliner Regierung statt. Der Palast der Republik wird erst später in den siebziger Jahren eröffnet.
Wer damals das Buffet zubereitet hat, lässt sich leider nicht mehr ausfindig machen. Ein Nachfolger aber, der Chef-Gastronom im Palast der Republik, Siegfried Pasternak, beschrieb in einem Radiointerview die prekäre Lage: „Die DDR wusste immer, da sie sich in vielen Gebieten sehr anspruchsvolle Ziele gesetzt hatte, zu improvisieren. Wir standen vor dem Problem: Der Kerl ist zwei Meter lang, die Decke ist immer 1,20 Meter. Wir konnten uns immer aussuchen, ob wir am Kopf frieren oder an den Füssen frieren.“
Der Aufschwung der Deutschen Demokratischen Republik verlief die ersten zwanzig Jahre nur langsam. Der Spiegel kommentierte in seiner Ausgabe vom Vortag des Geburtstags die Entwicklung in den 1950er-Jahren folgendermassen: „Während die Zuwachsraten der Schwerindustrie kräftig stiegen, entwickelte sich Nahrungsmittel-Produktion und Konsumgüter-Produktion nur zögernd: Es gab weder solides Schuhwerk noch passgerechte Büstenhalter, weder Nähseide noch Apfelsinen, ja, nicht einmal Klopapier.“ Für die 1960er-Jahre konstatiert er einen schüchternen Aufschwung, die Löhne seien leicht angestiegen, und auf einen Trabant müsse man zwar immer noch vier Jahre warten, doch immerhin besitze bereits jede achte Familie ein Auto.
1969 ist auch das Jahr der ersten bemannte Mondlandung; im selben Jahr wird in der BRD das Gesetz zur Bestrafung der Homosexualität abgeschafft; der erste Jumbo Jet hebt ab; die Beatles spielen ihr letztes öffentliches Konzert; ARPANET, der Vorläufer des Internet, wird gegründet. Die Berliner Mauer steht seit bereits acht Jahren.
Zwanzig Jahre später, am 7. Oktober 1989, erschüttern Fluchtwellen und Demonstrationen die Grundfesten des nun vierzig Jahre alten Staates. Die inszenierten Feierlichkeiten sind jetzt nur noch Fassade. Auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, vor dem Palast der Republik, wo die offiziellen Feierlichkeiten stattfinden, entwickelt sich eine grosse Demonstration. In anderen Städten, in Leipzig und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), werden Demonstrationen mit massiver Polizeigewalt beendet.
Klaus Taubert, damals Chefreporter der Nachrichtenagentur ADN, beschreibt den Anlass in seinem Buch Generation Fussnote – Bekenntnisse eines Opportunisten: „Ich sass an einem sechseckigen Tisch auf Platz 406, auf der Menükarte steht ‚Extra starke Putensuppe’, ‚Forellenröllchen mit Dillsauce und Lachskaviar’ und ‚Schaumbrot von Räucherzunge’. Während draussen Tausende demonstrieren, ist ‚die Crème de la Crème des revolutionären Weltprozesses versammelt. Vom Palästinenserführer Arafat bis zum Chinesen Yilin, vom Mongolen Batmunch bis zum Jemeniten Ali Salem al-Beidh erweist man dem alten Kämpfer Honecker die Ehre, allen voran Michail Gorbatschow.“ Die Stimmung beim Festbankett anlässlich dieses Jahrestags ist höchst angespannt. Erich Honecker, der Gastgeber, kürzt seine Tischrede spontan um ganze fünf Seiten. Der Hauptgast, der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow, verlässt den Festtisch, noch bevor das Essen aufgetragen wird, um nach Moskau zurückzufliegen. Er soll zuvor die DDR-Spitze mit den Worten gewarnt haben: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“Nur kurze Zeit später, im November, fällt die Mauer: Damit ist das Ende der DDR besiegelt.
Zwei Jahre nach dem Bankett zum 20. Jahrestag der DDR, am 16. Oktober 1971, gibt der Schah von Persien ein grandioses Fest, um 2500 Jahre Iranische Monarchie zu feiern. Auch dieses Bankett bringt seinem Gastgeber kein Glück: Acht Jahre danach wird der Schah gestürzt und muss das Land verlassen. Lesen sie hier den Artikel zum Fest des Schahs.
Fotos: Gerhard Hoffmann