Der Granatapfel vom Altertum bis heute
Der Granatapfel folgte den Wegen des Menschen; er wurde in der Küche und als Heilmittel geschätzt: die Geschichte einer Freundschaft.
Der Granatapfel – ein Fest für Augen und Gaumen. © Shutterstock/Tanya Volkova
Zusammen mit Weinbeere und Feige war der Granatapfel eine der ersten von Menschen angebauten Früchte. Aus Mesopotamien wird berichtet, dass er schon vor 5000 Jahren zum Speiseplan unserer Vorfahren gehörte. Der aus Kleinasien stammende Granatapfel wurde von den Phöniziern mit der Gründung Karthagos nach Nordafrika eingeführt. Die Römer lernten ihn durch ihre Kriege gegen die Phönizier kennen und brachten ihn nach Italien. Sein wissenschaftlicher Name Punica granatum erinnert daran: punica, „punisch“, ist das lateinische Wort für „karthagisch“. Er bedeutet also „karthagischer Granatapfelbaum“1.
Botanisch handelt es sich um eine Beere mit dicker Schale, unter der sich eine Vielzahl harmonisch angeordneter Kerne verbirgt, umschlossen von rotem, durchsichtigem, köstlichem Fruchtfleisch. Wegen seines Aussehens spielt der Granatapfel eine Rolle in Mythen und Sagen; verschiedenen Kulturen bedeutet er symbolisch Leben, Tod, Fruchtbarkeit, Sexualität. Im christlichen Kulturkreis symbolisiert er die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Über die Symbolik hinaus erkannte der Mensch früh, dass die geerntete Frucht lange haltbar war. Daher begleitete der Granatapfel Reisende, die Wüsten oder Meere überquerten. Da er auch in heissem Klima gedeiht, pflanzten ihn die Portugiesen gern an Häfen, die ihnen als Landestellen dienten, um die Versorgung mit frischen Früchten zu sichern, die als Vorbeugung gegen Skorbut unverzichtbar waren.
Überall, wo der Granatapfel sich verbreitete, war er wegen seiner saftigen, aromatischen, vor allem durststillenden Früchte beliebt. Er galt als wichtige Zutat in königlichen Küchen; am Hof des sassanidischen Grosskönigs Balasch (484-488) servierte man gesalzene Scheiben Schafsfleisch, verfeinert mit Granatapfelsaft und Eiern. Zu den besten Desserts, an denen Herrscher sich labten, gehörten mit Rosenwasser aromatisierte Granatapfelkerne. Trotz seines königlichen Aussehens – als einzige Frucht trägt er eine Krone – war er nicht Vorrecht der Herrschenden, sondern allen sozialen Schichten zugänglich. Man weiss, dass die Bauern im Iran Fleisch zarter machten, indem sie es in Granatapfelsaft marinierten, während Köche am Hofe lieber Essig verwendeten. Vor dem Rohrzucker war Granatapfelsirup, ebenso wie der von Datteln oder Weinbeeren, ein begehrter Süssstoff und wurde für gezuckerte Früchte verwendet.
Granatäpfel in allen Facetten
Der Granatapfel ist wichtiger Ernährungsbestandteil im Nahen und Mittleren Osten. Man isst ihn roh oder trinkt den rubinroten, erfrischenden Saft, den fliegende Händler vor den Kunden pressen. In Indien werden Speisen mit frischen, getrockneten oder gemahlenen Kernen bestreut, die auch Teil von Gewürzmischungen sind.
In der Türkei und im Mittleren Osten wird Granatapfelsaft durch Kochen auf kleiner Flamme zu Melasse (türkisch nar ekşisi) eingedickt. Die früher als Süssstoff verwendete sirupartige Flüssigkeit wird heute in geringen Mengen Speisen für eine fruchtige, säuerliche Note beigefügt; so werden die Muhammara, eine türkische Sauce aus roter Paprika, Nüssen und Zwiebeln, oder der Kisir, ein Salat aus Bulgur, Paprika, Zwiebeln, Tomaten, Petersilie und Minze, verfeinert.
Auch im Iran ist der Granatapfel beliebt, wo er zu Khōrēsh-é-fēsēnjān gegeben wird, ein aus Hühnchen oder Ente gekochtes Gericht mit dickflüssiger Sauce aus gemahlenen Walnüssen und Granatapfelmelasse2. Die Zutaten verleihen diesem im Herbst und Winter gegessenen Gericht den süss-sauren Geschmack. In der kaspischen Region aromatisiert der Granatapfelsaft eine gekochte Fleischspeise, den Anār-āvīj, während Granatapfelkerne gemischt mit Würzkräutern Teil einer ofengebackenen Fischfüllung sind, die mit Bitterorangen serviert wird.
Eine in der traditionellen Medizin beliebte Pflanze
Dem Ayurveda gilt der Granatapfel als Heilmittel. Diese traditionelle indische Heilmethode verwendet nicht nur die Kerne, sondern auch die Haut der Frucht und die Rinde der Wurzeln. Jedem Pflanzenteil werden besondere Eigenschaften zugeschrieben und folglich spezielle Heileffekte: Der frische Saft gilt als stärkendes Getränk, das besonders Verdauungssystem und Blutkreislauf fördert3; die Haut der Frucht soll entzündungshemmend wirken; sie wird daher bei Halsschmerzen eingesetzt. Die Wurzeln dienen abgekocht zur Entwurmung. Dies sind nur einige Beispiele: Der Granatapfel wird im Ayurveda bei hundert verschiedenen Krankheiten verwendet. Auch die traditionelle chinesische Medizin schreibt ihm wohltuende Wirkungen zu. Gemahlene Granatapfelkerne, vermischt mit chinesischem Zimt, Galgantwurzel, Kardamom und Nelkenpfeffer setzt die tibetanische Medizin zur Verdauungsförderung ein.
Wertvolle Polyphenole
In der westlichen Pflanzenheilkunde spielte der Granatapfel kaum eine Rolle – nicht vergleichbar mit der Fülle an Indikationen im Ayurveda. Er heilte die Ruhr4 und war Entwurmungsmittel5 – Anwendungen, die seither entfallen.
Heute sieht die Wissenschaft genau hin. Der Samenmantel ist reich an Vitamin C und enthält die Vitamine A, E, B1, B2, B6, B9, Mineralsalze (Kalium, Kalzium, Magnesium) sowie Spurenelemente (Mangan, Kupfer, Zink)6. Vor allem der hohe Gehalt an Polyphenolen macht aufmerksam: oxidationshemmende Moleküle, deren Typ Anthocyan dem Granatapfel die rubinrote Farbe gibt. Diese Polyphenole – Ellagtannine, Flavonoide, Kumarin-Derivate – sollen positiv auf die Gesundheit wirken. Studien versuchten den Nachweis, dass Granatapfelsaft Herzkreislauf-Erkrankungen vorbeugt: Nachgewiesen wurde verringerte Atherosklerose7, verbesserte arterielle Blutzirkulation8 und Senkung von Bluthochdruck9. Die Polyphenole des Granatapfels werden auch mit Blick auf Krebsprävention untersucht, so bei Brustkrebs10, auch wenn noch ausreichende klinische Daten fehlen, um das therapeutische Potenzial beim Menschen festzustellen.
Verjüngungskur
Dank seines Gehalts an Antioxydantien haftete dem Granatapfel bald der Ruf eines den Alterungsprozess verzögernden Superfood an. Deshalb ist er unangefochtener Star spezialisierter Bars, wo man sich frisch gepressten Granatapfelsaft als Verjüngungskur bestellt. Geschäfte bieten natürlichen oder vergorenen Granatapfelsaft an, rein oder mit anderem Superfood (Aloe Vera, Johannisbeere) vermischt. Eine Studie der EPFL zeigte auf, dass das für diesen „Verjüngungseffekt“ zuständige Molekül wirklich existiert. Im Granatapfel als ein Präkursor vorhanden, verwandelt es sich nach der Verdauung durch die Darmflora in Urolithin A und stellt Zellfunktionen wieder her, die durch die Alterung des Organismus geschädigt wurden12… allerdings bei den Fadenwürmern Caenorhabditis elegans und Labormäusen. Ist mit diesen vielversprechenden Ergebnissen die Ewige Jugend zum Trinken nah?