Magere Tage? Fette Tage? Vom Glauben zum kulinarischen Genuss
Warum wird freitags Fisch gegessen? Warum gibt es in der Karnevalszeit frittiertes Gebäck? Erinnerungen an magere und fette Tage, die seit dem Mittelalter den katholischen Kalender prägen.
Fasten – als theologische Tugend – gehört in den meisten grossen Religionen zur Regel . Der Ramadan der Muslime ist heute die wohl bekannteste Form der Fastenzeit. Denn in christlichen Gesellschaften werden die vom katholischen Kalender auferlegten Essensentsagungen heute nur noch von wenigen streng eingehalten, obwohl vom Mittelalter bis ins 20. Jh. ein Wechsel von mageren und fetten Tagen die Mahlzeiten bestimmte. Wobei man sagen muss, dass es doppelt so viele magere wie fette Tage gab. Hinzu kam von Zeit zu Zeit ein Nahrungsmittelmangel, der dazu führte, dass die Europäer nur selten schlemmen konnten und ihren Gürtel öfter enger schnallen mussten: je nach Region und Frömmigkeitsgrad 150 bis 250 Tage im Jahr.
Busse durch Entsagung
Wenn Katholiken fasten, erinnern sie sich an das Leben Christi, der Jungfrau Maria oder bedeutender Heiliger. Dabei geht es nicht darum, vollständig zu fasten, sondern „magere“ Lebensmittel zu essen. Das sind Lebensmittel mit nur wenig oder gar keinem Fett, die Mässigung, innere Einkehr und sexuelle Abstinenz unterstützen. Damit stellt man seinen Glauben unter Beweis und kommt dem Seelenheil näher. Ums Fasten geht es vor allem an den grossen liturgischen Festen wie Auferstehung, der 40-tägigen Fastenzeit oder Aschermittwoch. Und da der Sohn Gottes am Karfreitag gekreuzigt wurde, zählen auch die Freitage zu den mageren Tagen. Im Gedenken an Aschermittwoch gilt tief Gläubigen auch der Mittwoch als „magerer“ Tag.
Verboten sind …
... an mageren Tagen Fleisch, Speck, Sahne und Butter sowie an besonderen Fastenfesttagen auch Eier. Diese Nahrungsmittel kommen erst an fetten Tagen wieder auf den Tisch – in der Karnevalszeit sogar im Überfluss: Denn dann wärmen fettgebackene Spezialitäten (Schmalzgebäck, Krapfen …) den Körper im Januar und Februar und bereiten ihn auf die folgende 40-tägige Fastenzeit vor. Es kann sein, dass die nordeuropäischen Reformatoren sich in ihren Predigten ein verlockendes Argument zu Nutze machten ‒ dass es nämlich im Protestantismus weder magere Tage noch Fastentage gibt. In der Tat ist die Fastenzeit nur schwer durchzustehen, wenn man keine tierischen Fette (vor allem keine Butter) essen darf, und darüber hinaus der Winter auch noch hart ist. Im Gegensatz zu den Menschen im Mittelmeerraum konnten die Nordeuropäer nicht auf Olivenöl ausweichen, weil sie es damals gar nicht kannten. Denn Olivenöl war als pflanzliches Fett an mageren Tagen erlaubt.
Fisch, die ‚höllischste‘ magere Speise
Lange Zeit sahen Kinder der Freitagsmahlzeit mit Schrecken entgegen. Egal, ob in der Schulmensa, zu Hause oder im Restaurant: dem langweilig schmeckenden, grätigen Fisch entkamen sie nirgends. Auch wenn heute die Regel, freitags Fisch zu essen, nicht mehr unbedingt befolgt wird, so ist doch bemerkenswert, wie lange sie sich auch in einer säkularen Gesellschaft hält. Auch asiatische und orientalische Restaurants bieten aus Respekt vor lokalen Gepflogenheiten freitags ihren Gästen ein Fischgericht an, obwohl die religiöse Dimension ihnen völlig fremd ist. Genauso haben auch die meisten Christen inzwischen vergessen, dass Fisch im Gegensatz zu Fleisch ein mageres Nahrungsmittel ist und Christus symbolisiert. Denn Ιχθύς oder ichthys, das aus den Anfangsbuchstaben der griechischen Worte des Satzes „Jesus Christus, Sohn des Erlösers“ ( „i“ für iēsoûs = Jesus, „ch“ für Christós = Christus, „t“ für theoû = Gottes, „y“ für yios = Sohn, „s“ für soter = Erlöser), zusammengsetzte Akronym, bedeutet auf Deutsch Fisch.
Schmecken Sie Geschichte
Mitten im Alimentarium, dem Museum der Ernährung in Vevey, steht eine riesige Küche. Den Besucher*innen steigen Küchendüfte in die Nase, machen ihnen Appetit; sie bleiben gern stehen, schauen den Köch*innen bei der Arbeit zu und stellen Fragen zu den Speisen. Wenn die Essenszeit gekommen ist, ordern sie gerne einen Teller. Aber nicht irgendeinen Teller! Manchmal wird ein Stück Geschichte mitserviert: leicht verständlich, köstlich und dazu noch schön. 2011 liessen sich Chefkoch Jean-François Wahlen und sein Team bei der Zubereitung und der Wahl der Zutaten von Rezepten des ausgehenden 18. Jhs. inspirieren. Das eine, das magere Menü enthielt natürlich kein Fleisch. Das andere, fette Menü erinnerte eher an ein Karnevalsfestessen. Im Karneval ist alles erlaubt: rotes Fleisch, Geflügel und vor allem Frittiertes.
Magere Mahlzeit: mariniertes Heilbuttfilet, Kräutersauce, Salzkartoffeln, gedämpfte Fenchelstreifen. Dessert: Apfellamellen mit Zitronensaft und Baiser.
Fette Mahlzeit: kleine Hähnchenroulade, Speck-Sahne-Sauce, in Schmalz goldbraun gebratene Kartoffeln, Eier-Flan mit Rote Beete. Dessert: Krapfen.