Die Psychologie des Hotdogs
Für den Psychoanalytiker Judd Grill ist der Fall klar: Seine Henkersmahlzeit wäre der Hotdog.
Wenn ich mir meine letzte Mahlzeit vor dem „Ende“ aussuchen könnte, dann wäre das wohl ein ganz normaler Hotdog in einem normalen Brötchen, klassisch mit Senf und Relish. Warum ich einem simplen amerikanischen Hotdog angesichts all der wunderbaren Geschmäcker und außergewöhnlichen Küchentraditionen der Welt als meiner Henkersmahlzeit den Vorzug geben und die anderen nicht einmal erwägen würde, das habe ich mich oft gefragt. Die Antwort ist einfach: Trost.
Einige meiner schönsten Kindheitserinnerungen sind mit Hotdogs verbunden, die ich an den allgegenwärtigen Hotdogständen, Hotdogwagen oder in Dinern, von denen New York City damals nur so wimmelte, gegessen habe – Nedicks, Grant’s, Chock Full o’ Nuts, Nathan's, Gray’s Papaya. Es mussten immer die Wagen mit einer bestimmte Sorte von „Dog“ – Sabrett – sein, alle anderen ließ ich links liegen. Beim Sabrett-Hotdog wird Rinderhack in eine besonders knusprige Haut gepresst. Das würzige Fleisch in Kombination mit der knackigen Pelle auf einem weichen Brötchen ergibt den absolut perfekten Hotdog.
Natürlich war ein Hotdog für mich viel mehr als nur eine Wurst. Schon als ich drei Jahre alt war, daran erinnere ich mich, war die Ehe meiner Eltern unglücklich. Ein Hotdog war damals eine einfache und erschwingliche Methode, das sensible Kind zu besänftigen. Die Welt war dann wieder in Ordnung, und ich war vom unübersehbaren Unglück meiner Eltern abgelenkt. Als ich älter und mein Gaumen anspruchsvoller wurde, entdeckte ich italienische Salsiccia und deutsche Wurst, die von der Konsistenz her ähnlich (nur dicker), aber mit Hammel- oder Schweinefleisch gefüllt waren. Diese europäischen Varianten waren so tröstlich wie der Hotdog meiner frühen Kindheit – und sind es bis heute.
Als Psychoanalytiker versuche ich, meine psychischen Kindheitstraumata zu verstehen, sie für mich zu klären und aufzulösen. Mein unzufriedener Vater hatte mich immer wieder gedemütigt und entmannt. Mir wurde klar, dass der Hotdog eine phallische, essbare Repräsentation meiner eigenen Macht war. Über unsere gemeinsame Liebe zum Hotdog gelang es mir gewissermaßen, mich mit meinem Vater zu verbünden und ihn zu kontrollieren, indem ich ihn dazu brachte, mir einen zu kaufen. Auf einer symbolischen Ebene konnte ich so groß sein wie er und ihn durch den Verzehr sogar besiegen – ein klassischer Fall von ödipalem Verlust und Sieg. Hotdogs mit meiner Mutter zu essen war wiederum eine Metapher für die erotischen Gefühle, die das kleine Kind in seiner prägenden Entwicklungsphase erlebt, als ich mich danach sehnte, in ihrem Leben den Platz meines Vaters einzunehmen.
Überall auf der Welt spielt Essen eine entscheidende und bedeutende Rolle für die Herausbildung der Sichtweisen und Verhaltensmuster eines Kindes. Für mich war der normale amerikanische Hotdog ein treuer Begleiter, ein Quell froher Erinnerungen und des Gefühls von Glück und Stärke, ein sicherer emotionaler Hafen in einem Meer von Ungewissheiten. Eine bessere und bedeutsamere Wahl für meine letzte Mahlzeit auf Erden konnte ich wohl kaum treffen.