Die Genusswoche
Die so sehr auf Konsens und Diskretion bedachte schweizerische Politik hat nur wenig Ähnlichkeiten mit ihrem Gegenstück in Italien oder Frankreich. Dort kommt es immer wieder zu Ausbrüchen, die eher der Comedia dell'Arte würdig sind oder etwas zu sehr ans Ancien Régime erinnern. Aber auch hierzulande gibt jemand seit 25 Jahren seinen Senf zum Papet Vaudois (1990 bis 2007) und zur Berner Roesti (2001 bis 2011) dazu: Josef Zisyadis. Als würdiger Vertreter des (kommunistischen) Parti Ouvrier Populaire hat Josef Zisyadis mehr als ein Mal die Abgeordneten mit seinen revolutionären Ansichten vor den Kopf gestossen und die Leser jener Zeitungskolumnen, die sich den Niederungen der Waadtländer und der Schweizerischen Regierung widmen, in Entzücken versetzt. Der konsensuelle und diskrete helvetische Staatsbürger fand ihn vielleicht ein bisschen sehr irritierend, auch wenn er insgeheim nicht umhin konnte, ihm in so manchem Punkt Recht zu geben. Aber da diese Aussagen von einem Mann mit so ungewöhnlichem Namen stammen, wurden sie seinem Temperament zugeschrieben, das dem des typischen Schweizers doch eher fremd ist.
Griechisch-orthodox dank seines Vaters, jüdisch-türkisch dank seiner Mutter, schweizerisch-protestantisch dank seines Integrationswillens, Kommunist und Theologe aus Überzeugung: Die Zutaten, die Josef Zisyadis ausmachen, ergeben eine Mischung, die aus dem Rahmen fällt und seinem Image als «Kämpfer und Aktivist» gerecht wird. Aber wo bleibt dabei der Hedonismus? Genuss findet er nicht nur dann, wenn sein Militantismus zu konkreten Ergebnissen führt, sondern auch im Alltag in seiner Küche und bei Tisch. Um die Geschmäcker und die Authentizität des kulinarischen schweizerischen Erbes besser verteidigen zu können, startete er 2001 nach französischem Vorbild Die Genusswoche (La Semaine du Goût), zuerst in der französischen Schweiz, dann auch in den anderen Teilen des Landes. Dieses Jahr findet sie vom 18. bis 28. September statt (Die Genusswoche, www.gout.ch) und wird Tausende von Akteuren bei hunderten kulinarischen Aktivitäten versammeln. Ziel der Woche ist es, ein Know-how zu fördern, das für Qualität steht, bedrohte handwerkliche Produkte zu schützen und vor allem die Geschmacksknospen der Esser zu stimulieren, allen voran die der Kinder.
Josef Zisyadis steht Annika Gil Rede und Antwort zum Thema Genuss
Ist der Genuss so sehr bedroht, dass man ihn speziell fördern muss?
Das Geniessen, das Wahrnehmen von Geschmäckern, ist das Ergebnis eines erzieherischen Prozesses. Man muss lernen, Nahrungsmittel zu vergleichen, ihre Geschmäcker zu erkennen und sie so zuzubereiten, dass man die unendliche Vielfalt der Geschmäcker, die eine Mahlzeit ausmachen, auch tatsächlich schätzen kann. Immer mehr Menschen haben inzwischen gar keine Zeit, eine Mahlzeit zuzubereiten. Eines der Hauptanliegen der Genusswoche ist es daher, die Beschäftigung mit Geschmack und Genuss als multidisziplinäres Fach in der Schule zu verankern. Denn Genuss umfasst alle möglichen Bereiche, nicht nur Küche und Hauswirtschaft: Da spielen auch Botanik, Chemie, Wirtschaft, Geografie, Geschichte usw. hinein. Im Idealfall hätte jede Schule, vom Kindergarten bis zur Universität, ihren eigenen Gemüsegarten, denn um diesen Genuss zu lernen, braucht es eine langfristige Perspektive.
Wie erklärt sich Ihr Interesse an einem schmackhaften Essen?
Sicher aus meinen Geschmackserfahrungen in der Kindheit! Vielleicht bin ich auch aufgrund meiner persönlichen Geschichte empfänglicher für die Vielfalt der Geschmäcker: Meine Familie hat Istanbul verlassen, als ich zwei Jahre alt war, und sich vier Jahre später in der Schweiz niedergelassen. Die griechischen oder türkischen Spezialitäten, die meine Mutter zubereitete, mit ihren Gerüchen und ihrer ganz speziellen Konsistenz, waren für uns immer eine der konkretesten Verbindungen zu unserem Ursprungsland. Und alle miteinander rund um den Tisch zu sitzen und zu essen – das war das für uns nicht nur Trost, sondern auch Freude und Genuss.
Sind der Geschmack einer Moussaka oder einer Linsensuppe so etwas wie die Botschafter einer Familienseele?
Als ich mit 17 von zu Hause wegging, gab mir meine Mutter ein Heft mit, in dem sie an die dreissig Rezepte aufgeschrieben hatte … damit ich mich selbst ernähren und mir auch weiterhin die Gerichte zubereiten konnte, die sie so gern für mich zubereitete und die mir so geschmeckt haben. Und ich mag diese heute noch, obwohl ich mein Geschmacksrepertoire auf andere Spezialitäten ausgedehnt habe.
Haben Sie sich tatsächlich die Zeit genommen, selbst zu kochen?
Sogar als Student ohne Geld habe ich es geschafft, mit dem, was ich zur Verfügung hatte, zu kochen. Ich habe mir gefrorene Hühnerkarkassen oder Lachsreste gekauft und daraus Gerichte zubereitet, die ich dann meinen Freunden kredenzt habe. Mit meinem ersten Gehalt habe ich mir frische Ingredienzen geleistet und nach und nach elaboriertere Gerichte zubereitet.
Was sind Ihre kleinen Schwächen?
Manchmal esse ich gerne allein. Das ist eine Einsamkeit, die gut tut. Und dann bereite ich mir ein einfaches Gericht zu, eine Omelette aux frites (Omelette mit übrig gebliebenen Pommes frites), ein typisches Rezept der griechischen Inseln. Ich mache mir meine Pommes frites selbst und vermische sie mit Eiern. Eine gelungene Omelette ist fast eine Art Pfannkuchen. Sie darf nicht teigig, sondern muss an den Rändern schön knusprig sein.
Josef Zisyadis, der so viel Wert auf Genuss und Geselligkeit legt, lässt Sie über seinen Blog an seinen Gaumenfreuden teilhaben. Seine Rezepte, die lokale Küche und Einflüsse aus der Fremde in sich vereinen, sagen mehr über seine Person aus als obenstehende Zeilen. An den Herd!