Ein Unterwassergemüsegarten
Vor Liguriens Küste liegen tief im Wasser die Biosphären von Nemo’s Garden – eine neue Form biologischer Landwirtschaft.
Die Landwirtschaft von morgen findet vielleicht auch auf Unterwasserfeldern statt. ©Ocean Reef Group/Nemo's Garden 2018
Erdbeeren und Basilikum unter Wasser produzieren – das klingt wie eine Idee von Jules Verne... Doch ist es der Wirklichkeit gewordene Traum des italienischen Unternehmers Sergio Gamberini. Der 2012 gegründete Nemo’s Garden ist ein Unterwassergemüsegarten vor der Küste Liguriens, in dem mithilfe der Anbautechnik Hydroponik etwa vierzig verschiedene Würzkräuter und Gemüsesorten wachsen. Dieses in luftgefüllten „Blasen“ installierte System erlaubt den Ersatz von Erde durch ein technisches Substrat, das mit einer Komplett-Nährstofflösung für Pflanzen bewässert wird.
Heute ist die Produktion der sechs Biosphären in dem Unterwasser-Gewächshaus noch beschränkt, da jede nur 80 bis 100 kleine Pflanzen aufnehmen kann. „Doch wenn die Ocean Reef Group, die Muttergesellschaft, die Probleme hinsichtlich Grösse, Logistik und Rentabilität des Projekts gelöst hat“, erklärt der Projektkoordinator von Nemo’s Garden, Gianni Fontanesi, „könnte es eine Lösung für die Verknappung von Anbauflächen und anderen zentralen Problemen der herkömmlichen Landwirtschaft sein.“ Gianni Fontanesi arbeitet seit 2015 am Projekt als einer von sechs Mitarbeitern, die Zugangsrecht zum Gemüsegarten haben.
„Ich denke, es ist ein wirklich cooles Projekt“, sagt Nina Schroeder, Managerin für Hydroponik-Projekte beim World Food Programme (WFP) [Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen]. Wir suchen in unserem Innovation Accelerator immer nach innovativen Ideen, um Hunger zu bekämpfen. Nemo's Garden befindet sich zwar noch in einem Frühstadium, sieht aber schon vielversprechend aus, vor allem in den Bereichen Temperaturstabilität – ein für unsere Arbeitszusammenhänge sehr präsentes Problem – und automatisierter Süsswasserherstellung.“
Ein einfaches und ökologisch vielversprechendes Konzept
Die Idee zu einem Unterwasser-Bauernhof kam Sergio Gamberini 2012 bei einem Gespräch mit einem befreundeten Landwirt während seines Urlaubs im 60 km von Genua entfernten Noli. Das Konzept war einfach: Eine Pflanze unter Wasser in einer Schutzfolie über die eigene Verdunstung zu bewässern. Sein Versuch gab ihm Recht, und 2013 wollte er ihn unterstützt von Ingenieuren und Agrarwissenschaftlern in grösserem Massstab auf dem Meeresgrund wiederholen. Der begeisterte Taucher hatte schon immer eine enge Beziehung zum Meer. Die Ocean Reef Group, deren Präsident er ist, hat sich seit 1950 auf Herstellung und Vertrieb von Ausrüstungen und Dienstleistungen für Taucher spezialisiert. Auch zu den Anbaukapseln gelangt man nur mit Sauerstoffflasche und Taucheranzug.
50 Meter von der Küste in einer Tiefe von 6 bis 10 Metern gedeiht der Gemüsegarten der Zukunft unter für Menschen unwirtlichen Bedingungen. Deshalb ist es verboten, das Innere der Kapseln zu betreten, da der Sauerstoffgehalt zu niedrig und der CO2-Anteil für eine nicht ausgerüstete Person zu hoch wären. Diese Bedingungen entsprechen jedoch genau den Bedürfnissen der Pflanzen. „Der Druck im Innern der Biosphären beträgt im Schnitt 1,8 Bar, was das Wachstum bestimmter Pflanzen stimulieren soll“, erklärt Gianni Fontanesi. „Wir untersuchen gerade, welche Pflanzen hier am besten wachsen. Bei Basilikum stellen wir beispielsweise einen höheren Anteil an ätherischen Ölen und Chlorophyll fest.“
Weiterer Vorteil des Unterwasser-Anbaus: Schädlinge fehlen völlig. Die vor Insekten geschützten Pflanzen wachsen ohne Pestizideinsatz, was Nemo’s Garden eine zu 100% biologische Produktion garantiert. Das Algenwachstum auf den Schutzhüllen der Biosphären begrenzt jedoch die Lichteinstrahlung, während Meeresströmungen oder Stürme das ganze System gefährden. Es ist jedoch mit Kameras und Sensoren ausgestattet, die Temperatur, Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung usw. überwachen. Diese Technologie wurde komplett von der Ocean Reef Group produziert, die Daten werden gespeichert und sind als Open Source in Echtzeit im Internet abrufbar1.
Das Projekt ermöglicht jedoch keine Skaleneffekte. Deshalb hat es sich in den Dienst der Forschung gestellt: Kooperationen wurden vereinbart mit der Università di Pisa (um zu verstehen, welche Pflanzen sich am besten für diese Anbauart eignen) und mit der Università degli Studi di Genova (für Fragen der Verdunstung und der ausreichenden Produktion von Süsswasser im Innern der Biosphären). „Oft wird gefragt: Warum bauen Sie keine grösseren Kapseln?“, erzählt Gianni Fontanesi. „Doch das Problem ist, dass deren Verankerung bei einem Durchmesser von 2 Metern einem Auftrieb standhalten muss, der einer Masse von 2 Tonnen entspricht. Wenn wir den Durchmesser auf 5 Meter erweitern würden, müssten wir sie mit 32 Tonnen Beton im Boden befestigen! Angesichts der Kosten lässt sich eine solche Anlage derzeit nur auf Bestellung erstellen.“
Die relativ kleinen Masse der Anlage sind jedoch ein Plus für ihre Nachhaltigkeit. Denn Nemo‘s Garden verwendet ausschliesslich grüne Energien aus Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen. Dieses Know-how und die Sensibilität in Sachen Nachhaltigkeit hat das Projekt von der Ocean Reef Group geerbt, die ihre Produkte biologisch abbaubar verpackt, und deren amerikanisches Tochterunternehmen Ocean Reef INC 130% seines Energiebedarfs aus nachhaltigen Quellen generiert.
Die Erkenntnisse dieser wissenschaftlichen Detailarbeit präsentierte Italien bei der Weltausstellung 2015 vor mehr als 22 Millionen Besuchern. Sie betreffen jedoch nicht nur die Gemüseproduktion. Das Team stellte auch fest, dass die Biosphären eine Rolle beim Schutz der Unterwasserfauna spielen. „In Nemo‘s Garden findet man neben allen möglichen Sorten von Fischen auch Tintenfische, Muränen, Kraken, Seepferdchen, Seesterne oder Muscheln. Jahr für Jahr bevölkert sich das Meer in der Umgebung des Gartens mehr“, betont Gianni Fontanesi.
Eine Lösung für knappes Ackerland?
Die riesigen Flächen in den Meeren zu nutzen, während das Festland über nur noch geringe Ressourcen verfügt: Diesen zentralen Vorteil sieht der Wissenschaftler und Experte für Küstenökosysteme, David Obura, Direktor der Organisation Coastal Oceans Research and Development in the Indian Ocean (CORDIO) im Projekt Nemo’s Garden. „Ich habe in entlegenen Gebieten, auch auf Inseln, gearbeitet und finde, dass dieses Projekt ein interessantes Potenzial hat: Es könnte die Formel sein, um der Verknappung von Land und Süsswasser nachhaltig zu begegnen”, erklärt er.
Die Landwirtschaft hat bereits bewiesen, dass sie sich extremen Bedingungen anpassen kann, ob mit der Permakultur am Nordpol2 oder mit Pflanzen, die im Weltraum wachsen3. Wie diese Beispiele verfügt Nemo’s Garden jedoch über einen begrenzten Anwendungsbereich. Das Unternehmen Ocean Reef Group hat seit Beginn der Unternehmung 250 000 Euro investiert, doch die Einnahmen decken diese Ausgaben nicht. Für 40 000 Euro kann sich jedermann eine echte Biosphäre kaufen, eine „Blase“, die technisch genau gleich der im italienischen Unterwasser-Gemüsegarten ausgestattet ist, doch sie verkauft sich selten, weshalb die Herausforderungen der Zukunft vor allem finanzieller Art sind. Grosse Unternehmen wie Volvo oder Sky gehören zu den offiziellen Partnern, andere tragen weniger sichtbar zum Projekt bei.
„Landpflanzen benötigen für ihr Wachstum rotes Licht. Die begrenzte, ins Innere der Sphären gelangende Lichtmenge sowie deren kleine Oberfläche machen eine Produktivitätssteigerung von Nemo’s Garden erforderlich“, erklärt Brian Von Herzen, Gründer und Geschäftsführender Direktor der Climate Foundation. Die Zukunft des Projekts hängt also heute vom Zustandekommen neuer kommerzieller und technologischer Partnerschaften ab. Im technischen Bereich ist Brian Von Herzen optimistisch: „Wir arbeiten z.B. an der Nutzung der Fähigkeit von Algen, grünes in rotes Licht umzuwandeln und so dessen Verfügbarkeit zu erhöhen, sowie an neuen Möglichkeiten zur Herstellung von Süsswasser. Das könnte zusammen mit den Erkenntnissen von Nemo’s Garden den Gemüseanbau in Italien revolutionieren.” Sergio Gamberinis Traum geht also weiter.