Essen wie ein Fisch
Ozeanograph Bren Smith produziert in seiner Unterwasserfarm auf Long Island Seetang. Die Meerespflanze enthält mehr Proteine als Sojabohnen und mehr Kalzium als Milch. Auch Pasta, Glacés oder Cocktails lassen sich aus Seetang herstellen.
Im Jahr 2013 startete Bren Smith, Ozeanfarmer und Besitzer der Thimble Island Oyster Co. im Long Island Sound, eine «blau-grüne» Revolution. Er begann tief unten im Ozean in 3D-Mustern Tang anzubauen. Dabei werden Kelp- (d.h. Braunalgen)-Setzlinge in einem an Seilen hängenden, vertikalen Unterwassergarten um 45 Meter lange Leinen gewickelt und über Austern- und Muschelkäfige gestapelt. Smith zufolge enthalten einheimische Seealgen mehr Protein als Sojabohnen, mehr Kalzium als Milch und sind randvoll mit Omega-3-Fettsäuren. Wenn die Verbraucher essen wie die Fische, profitieren sie von denselben gesundheitsfördernden Effekten und nehmen noch dazu den Druck von den schwindenden Fischbeständen.» Und da er nicht an Käufer verkauft, die mehr als hundert Kilometer entfernt leben, ist Bren auch Teil der «Km 0»-Bewegung.
Thimble Island Oyster Co. ist eine 24 Hektar kleine Farm auf den Thimble Islands im Long Island Sound. Obwohl das Experiment erst in bescheidenem Umfang läuft, hat es schon für Aufmerksamkeit gesorgt, so im Magazin The New Yorker, im Wall Street Journal und im National Geographic. Hier ist ein Hörbericht zu finden.
Bren, wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Die Inspiration kam nach mehreren Rückschlägen. In zwei aufeinander folgenden Jahren war meine Farm von klimabedingten Naturkatastrophen betroffen – erst Hurrikan Irene, dann Hurrikan Sandy. Beide Male habe ich 80 Prozent der Austernernte eingebüsst und dazu noch mehr als 50 Prozent meiner Ausrüstung. In Zeiten des Klimawandels sind solche Unwetter die neue Normalität, also musste ich mich anpassen. Ich fing an, mit der gesamten Wassersäule zu experimentieren, indem ich auf 3D umgestellt habe, um meine Farm hurrikansicher zu machen. (Das Problem bei Hurrikanen sind die Sturmfluten: Dabei wird eine ein Meter dicke Schlammschicht angeschwemmt, die die Austern und Muscheln auf dem Ozeanboden unter sich begräbt.) Dann habe ich auch andere Pflanzen angebaut: Seealgen, die sich nach der Hurrikansaison ausgesät haben und schnell wuchsen. Das Schlimme am Klimawandel ist ja, dass er viel Unheil anrichtet, aber das Gute daran ist, dass er Innovationen hervorbringt und uns zwingt, nicht nur unser Nahrungssystem, sondern auch das Wirtschaftssystem neu zu konzipieren.
Haben Sie denn Beziehungen zu Restaurants oder Kreativköchen aufgebaut? Welchen Einfluss nehmen Sie auf deren Arbeit?
Der Gedanke ist: Essen wie ein Fisch! Indem wir essen, was Fische essen – nämlich Pflanzen –, erfinden wir neu, was auf den Teller kommt. Wir kochen Kelp-Linguini und Kelp-Eis, ja, sogar Kelp-Cocktails. Unsere Seealgen und unsere Muscheln liefern wir an einige der besten Restaurants in New York, darunter Morimoto, Il Buco und Louro’s – und wir haben die erste Fischfang- Versorgungsgemeinschaft im Long Island Sound gegründet. Wir veranstalten auch «Supper Clubs» mit immer neuen Menüs, wo wir das verarbeiten, was wir auf der Farm anbauen. Es passiert ja nicht oft, dass man ein Produkt entdeckt, das vor Ort wächst und trotzdem exotisch ist. Unser Kelp hat in den Restaurants eine richtige Welle der Kreativität angestossen. Schliesslich soll es auch Spass machen und trotzdem gesund sein: Unsere Seealgen enthalten mehr Protein als Sojabohnen und mehr Kalzium als Milch. Fische stellen ja keine Omega-3-Fettsäuren her – sie fressen sie bloss. Wenn die Verbraucher essen wie die Fische, profitieren sie von denselben gesundheitsfördernden Effekten und nehmen noch dazu den Druck von den schwindenden Fischbeständen.
Woher kommt dieser aktuelle Drang zurück zu den Ursprüngen der Kochkultur, zum natürlichen, unverfälschten Geschmack und zum Neuausloten der Grenzen des Essbaren?
Dafür gibt es, glaube ich, zwei Gründe. Zum einen haben wir ja den grössten Teil unserer Kochkultur aus anderen Kochtraditionen übernommen. Nie haben wir innegehalten und uns gefragt: Welche einheimische Produkte gibt es in unserer Region? Was für Rezepte fallen uns dazu ein? Als wir dann mit Kelp statt Sushirollen nach New York City kamen, haben wir auch Kelp-Butter, Kelp-Nudeln und Kelp-Whisky ausprobiert. Wir konzentrieren uns auf einheimische, rohe Produkte und können dadurch eine neue lokale Küchentradition erfinden und aufbauen, die nachhaltig und zugleich innovativ ist. Als hätten wir jetzt die Erlaubnis bekommen, wieder etwas Neues zu erfinden! Der zweite Grund ist, dass wir die finstere und oberflächliche Ära der Industrielebensmittel hinter uns gelassen haben, wo es nur um Profit, nicht um Geschmack oder Kunst oder Gesundheit ging. Zum Glück liegt diese Zeit jetzt hinter uns.
Wie beurteilen Sie die globale Nahrungsmittelversorgung? Sie arbeiten ja in gewissem Masse dagegen.
Im Zeitalter des Klimawandels ist es einfach irrsinnig, Nahrungsmittel aus allen Teilen der Welt anliefern zu lassen. Ausserdem funktioniert das System nicht: Millionen Menschen hungern, obwohl wir mehr als genug produzieren, um die ganze Welt zu ernähren. Viele der globalen Nahrungsmittelhersteller machen sich keine Gedanken über die Nahrungsmittelversorgung. Die zweitgrösste Kapitalbeteiligungsgesellschaft in den USA besitzt zum Beispiel 40 Prozent der peruanischen Fischfangquoten. Sie spielen einfach das Spiel des Markts. Dabei sollte Ernährung doch mit Essen, mit Freude, mit Gemeinschaft zu tun haben. Ich verkaufe meine Produkte prinzipiell nur in einem Umkreis von bis zu hundert Meilen von meiner Farm. Ausserdem organisiere ich eine Versorgungsgemeinschaft für Fischereiprodukte, wo die Anwohner Anteile an der Farm erwerben können und dafür einmal im Monat frische Meeresfrüchte erhalten.