Totenfest – Brücke zwischen Diesseits und Jenseits
El Día de los Muertos (Der Tag der Toten) in Mexiko mischt präkolumbianische (vor der spanischen Eroberung entstandene) Rituale mit katholischen Traditionen. Ziel der Festtage ist, Lebende und Tote bei einem Mahl zu vereinen. Mit dem Lieblingsessen und den Lieblingsgetränken des Verstorbenen wird die Idee des Zusammenlebens von Lebenden und Toten auf dem Friedhof wie auch zu Hause gefeiert.
Eine Mischung von Traditionen und Kulturen zweier Kontinente
Das mexikanische Totenfest ist aus einer Mischung verschiedener Traditionen und Kulturen entstanden. Es verdankt seine Entstehung sowohl mesoamerikanischen Wurzeln wie auch dem im 16. Jh. von den Spaniern eingeführten Katholizismus.
In präkolumbianischer Zeit verbanden die Azteken Glaube und religiöse Praxis eng mit dem Tod, da sie ihn als Voraussetzung für das Leben betrachteten. Sie veranstalteten z.B. Menschenopfer, gerade um das Leben zu erhalten, damit der Sonnenkönig Huitzilopochtli leben und weiterhin die Welt erleuchten könne. Sie feierten zwei Feste zu Ehren der Toten im Abstand von 20 Tagen. Das erste, Miccaihuitontli, würdigte die verstorbenen Kinder, das zweite, Hueymiccalhuitl, war den Erwachsenen gewidmet. Diese Feste richteten sich nach dem landwirtschaftlichen Kalender, insbesondere nach dem Zyklus des Maisanbaus (Juli-August). Am grossen Bankett zu Erntebeginn nahmen alle teil - die Lebenden wie die Toten. Letztere wurden eingeladen, ihre tristen unterirdischen Ruhestätten für die Zeit des Festes, bei dem auf den Gräbern gegessen und getanzt wurde, zu verlassen. Tränen der Trauer hatten hier keinen Platz: Nach aztekischer Vorstellung liessen sie den Rückweg der Verstorbenen rutschig und gefährlich werden.
Mit der Ankunft der spanischen Kolonialisten im 16. Jh. endete die Herrschaft der Azteken. Das Totenfest blieb allerdings weiter bestehen - indem es sich an sein katholisches Pendant anpasste. Am 1. November, an Allerheiligen, findet das in El Día de los Innocentes umbenannte Fest der Kinder statt, El Día de los Muertos, das Fest der erwachsenen Toten, wird am nächsten Tag, dem Totengedenktag, begangen.
„Schädel für die Lebenden, Brot für die Toten“
Die Mexikaner feiern das Fest der Toten sowohl zu Hause in der Familie als auch auf dem Friedhof. Sie rufen ihre Verstorbenen an die Familientafel, indem sie ofrendas genannte Altäre aufstellen, deren Mittelpunkt ein Foto des Verstorbenen bildet. Die Opfergaben stellen die vier Elemente dar: Erde, Wasser, Feuer und Luft. Angezündete Kerzen symbolisieren das Feuer, Dekorationen aus ausgeschnittenem Papier die Luft (Wind). Ein Glas mit Wasser steht für das nasse Element und hilft der Seele, nach der langen Reise aus dem Jenseits den Durst zu löschen. Etwas Salz wird daneben gestellt, damit die Seele sich reinigen kann. Der Vorstellung nach werden die reisenden Seelen durch die Monarch-Schmetterlinge verkörpert, die sich zu dieser Jahreszeit in Mexiko ansiedeln. Die Lieblingsspeisen des Verstorbenen stellen die Erde dar. Für manche sind es Tacos, für andere Hähnchen mit Mole (Sauce aus Chili und Kakao) oder Tamal (in Kolbenblättern gedämpfter, gefüllter Maismehlteig). Nach alter Tradition schenkt man sich gegenseitig Calaveritas, kleine Totenschädel aus Zucker, deren bunte Farben Lebenskraft signalisieren. Das Pan de Muerto, ein leicht gezuckertes Brot in Form von Knochen, wird unter Verwandten, Lebenden wie Toten, geteilt. Amaranth-Samen sind ebenfalls Teil der ofrendas, eine Zwischenmahlzeit für die Geister. Zur Zeit der Azteken wurde Pulque (Alkohol auf Agavensaftbasis) serviert, um mit den Toten eins zu werden, während man heute mit dem Lieblings-Alkohol anstösst.
Die Prozessionsteilnehmer zum Friedhof machen dort ein Picknick. Die Gräber werden gesäubert und mit gelben Studentenblumen (Tagetes) und Amaranth-Blüten geschmückt. Die Angehörigen zünden Kerzen an, um den Seelen den Weg zu zeigen, und stellen Proviantkörbe auf den Gräbern ab.
Die Speisen für das Fest werden, egal ob sie zu Hause oder auf dem Friedhof gegessen werden, von allen sorgsam zubereitet − für den besonderen Moment des Teilens und des Zusammenlebens mit den Toten. Die Mexikaner verbringen so die ganze Nacht. Tote und Lebende trinken, essen, reden und singen gemeinsam.
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