Die Tischgesellschaften im Ramadan
Der Ramadan bedeutet nicht nur Entbehrung, sondern ist auch eine Sache des Geschmacks. Während des Ramadan leben Muslime tagsüber in Askese, d.h. sie dürfen weder Nahrung zu sich nehmen, sich abhängig machenden oder Lust bereitenden Tätigkeiten hingeben. Nachts hingegen sitzt man in geselliger Runde beisammen und teilt die Mahlzeiten. Dabei ist die Reinheit der Nahrungsmittel, die zu den beiden nächtlichen Mahlzeiten Iftar und Sahur gehören, besonders wichtig.
Akt des „gemeinsamen Essens”: die Tischgesellschaft als Grundsatz
Die islamischen Quellen heben den Akt des „gemeinsamen Essens” hervor. Der Hadith, der das Wort des Propheten Mohammed wiedergibt, besagt, dass „jeder, der genug Speise für Zwei hat, einen Dritten einladen solle. Und jeder, der genug Speise für Vier hat, solle einen Fünften oder Sechsten einladen, denn die Jamma‘a (die Treffen, das Zusammensein) sind gesegnet.“
Vorbereitungen für den Ramadan
Einerseits ist der Ramadan eine Zeit der Mässigung aller Vergnügen. Andererseits bietet er vielen Gläubigen die Gelegenheit, ihre (traditionellen) Lieblingsgerichte zu bereiten. Sie verwenden grosse Sorgfalt auf die Wahl der Nahrungsmittel, die zulässig (halal) und von guter Qualität sein müssen. Generell werden die Einkäufe im Vormonat getätigt. Während dieser Zeit blüht besonders das Geschäft des Halal-Fleisches. Lebensmittelgeschäfte präsentieren die auf muslimischer Küche basierenden Produkte - z.B. Reis, Datteln, kandierte Früchte, Zucker und Griess. In einigen muslimischen Ländern wie Ägypten stehen die Produkte zu einem erschwinglichen Preis zum Verkauf, da sie staatlich bezuschusst werden. Der Trend in den westlichen Ländern geht zum Angebot neuer Produkte für den „muslimischen Verbraucher”. Er reicht von Gewürzsäcklein bis hin zur Tiefkühlpizza, wobei alle Halal-Produkte zu sein haben.
Mahlzeiten des Fastenbrechens
Sobald es Nacht ist, wird das Fasten im engsten Familienkreis mit dem Verzehr von Datteln und einem Glas Wasser unterbrochen. Diese Praxis geht auf den Propheten Mohammed zurück und kennt verschiedene Ausprägungen in der arabischen Welt. In Marokko zum Beispiel wird Harira gegessen, eine Suppe mit Tomaten, Hülsenfrüchten, Fleisch und Zwiebeln. Die Nacht des Ramadan ist durch zwei Mahlzeiten bezeichnet: Iftar und Sahur. Iftar wird nach Einbruch der Dunkelheit gegessen. Die Mahlzeit besteht aus verschiedenen Gerichten und weist auch den sozioökonomischen Status der jeweiligen Familie aus. Stärke- oder getreidehaltige Speisen mit oder ohne Fleisch finden sich auf den Tischen armer Familien: Falafel, Brot, Linsensuppe und Reis. In wohlhabenderen Kreisen werden hauptsächlich Fleisch- und Fischgerichte - z.B. Tintenfisch-Salat, gefüllte Tauben oder Geflügelsuppe - vorgesetzt. Vielfalt und Qualität der Nahrungsmittel ersetzen die Quantität, da es gilt, Ausschweifungen um jeden Preis zu vermeiden. Die Reichhaltigkeit des Mahls erfordert oft, dass es bereits im Laufe des Tages zubereitet wird. Nach alter Tradition sind die Frauen die „Hüterinnen des Herdes”. Allerdings dürfen sie während der Zubereitung beim Probieren nichts schlucken, weil es das Fasten brechen würde. Die Mahlzeit Sahur wird kurz vor dem Morgengebet eingenommen und ist leichter als Iftar. Sie besteht hauptsächlich aus Nahrungsmitteln und Gerichten auf Milchbasis: Joghurt, Käse, Milchreis, aber auch Datteln, Brot und Konfitüre, dazu wird Tee oder ein Glas Milch getrunken. Jedes Land und jede Region hat seine eigenen Speisevarianten: In Marokko isst man Msemmen, ein gefüllter Pfannkuchen, und im Libanon kommt Manaich auf den Tisch, ein Fladenbrot, das mit Zatar (Za’atar), einer Gewürzmischung auf Thymianbasis, gewürzt wird.
Öffentliche Festessen als Akt der Grossherzigkeit
Grosszügigkeit gegenüber dem Nächsten beschränkt sich nicht auf den Familien- und Freundeskreis. Beträchtliche öffentliche und kostenlose Festessen - Mawaid Al-Rahman genannt - werden in arabischen Ländern von nicht-staatlichen Organisationen veranstaltet, um Arme und Waisen zu speisen.
MASSON, Denise, 1967. Coran. Paris : Gallimard.
ASSOULY, Olivier, 2002. Les nourritures divines. Essai sur les interdits alimentaires. Paris : Actes Sud.
CAMPO, Juan E., CAMPO, Magda, 2015. Food and Cuisine. In : The Cambridge Companion to Modern Arab Culture. Cambridge : Cambridge University Press. pp. 268-292.