Die Halal-Zertifizierung
Der Halal-Markt ist ein neues Phänomen. In den westlichen Ländern, vor allem in Frankreich, stieg seit den 1960er Jahren durch Ansiedlung muslimischer Migranten die Nachfrage nach Halal-Fleisch. Seit den 1990er Jahren sehen wir einen neuen Typ des „muslimischen Verbrauchers”, der bewusst auf seine Ernährung achtet. Damit einher gingen die Einrichtung von lokalen Fachfleischereien und, als die Nachfrage sich erweiterte, später auch die Gründung einer fleischverarbeitenden Industrie. Damit wurde halal zum kommerziellen Qualitätssiegel.
Die Herausbildung des muslimischen Verbrauchers im Westen
Als sozioökonomisches Phänomen gab es ursprünglich Produkte mit dem Halal-Gütesiegel nur in nichtmuslimischen Ländern. Z.B. neigt die aus Nordafrika nach Frankreich immigrierte Bevölkerung dazu, ihre kulturellen Traditionen über die Schriften des Islam zu stellen. Deshalb trägt die erste Generation der Migranten Sorge, ihre Ernährungsgewohnheiten „wie im Herkunftsland” (Rodier, 2014) zu bewahren. Obwohl der Koran den Konsum von Fleisch, das von „Anhängern der Buchreligionen” (Juden und Christen) produziert wurde, nicht verbietet, betrachtet sie die Nahrungsmittel der Christen als unsauber und durch Kontakt oder Vermischung mit unerlaubten Produkten, wie z.B. Schwein, als möglicherweise „kontaminiert”. Daher kauften die ersten muslimischen Migranten in jüdischen Fleischereien ein. Die Erhöhung ihres Lebensstandards im Gastland führte dann zu erhöhtem Fleischverzehr. Fleisch, das bis dahin nur bei grossen Feierlichkeiten (z.B. beim Opferfest) gegessen wurde, entwickelte sich zum Ausweis des gesellschaftlichen und finanziellen Erfolgs. Von nun an kam täglich Fleisch auf den Tisch. Die Steigerung der Nachfrage führte zum Aufschwung muslimischer Fleischereien, die, z.B. in Frankreich, seit den 1970er Jahren überwiegend als Familienbetriebe geführt werden. Für die Mehrheitsgesellschaft bleiben sie Teil eines ethnischen oder exotischen Handels. Der Fleischer, ein Mitglied der islamischen Gemeinde, garantierte mit seinem persönlichen Ruf die Produktion nach den Halal-Regeln. Nach und nach bildete sich aber ein speziell „muslimisches Verbraucherverhalten” heraus, das sowohl den Körper wie auch die Religionszugehörigkeit über die Ernährung kontrollieren wollte (Rodier, 2014).
Die Halal-Norm auf industriellem Niveau
Gesundheitskrisen (BSE, Maul- und Klauenseuche) und der öffentliche Druck nach höherer Produktgarantie zwangen die Fleischindustrie in den 1990er Jahren, auch die rituelle Schlachtung in ihr Programm aufzunehmen. Die Schlachthäuser schafften Schneidwerkzeuge an, mit denen Fleisch auf zulässige Weise im muslimischen Sinn (halal) zu produzieren war. Infolgedessen sanken die Fleischpreise für den muslimischen Markt, und die Qualität verbesserte sich. Die Einführung von halal in die industrielle Fleischproduktion hatte noch weitere Folgen: Die rituelle Schlachtung wurde so durch einfache Handhabung und die Beachtung der Hygiene- und Qualitätsnormen zu einem kontrollierbaren Prozess. Dadurch vervielfachten sich aber auch die Halal-Zertifizierungstellen - heute zählt man mehrere hundert davon. Dies führte zum Ruf nach einem internationalen Halal-Standard - teilweise befeuert durch den internationalen Warenaustausch (Import - Export) zwischen nichtmuslimischen und muslimischen Ländern, der keine Produktgarantien für Nahrungsmittel geben konnte.
Halal-Zertifizierung und FAO
Das islamische Recht ist mit dem Handelsrecht laizistischer Staaten nicht vereinbar. Deshalb übertrug die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO: Food and Agriculture Organization) Malaysia, Organisator des World Halal Forum für alle Akteure im Halal-Markt, das Recht, Richtlinien für den Gebrauch des Begriffs „halal” in den Codex Alimentarius einzutragen. Dadurch soll dieses Label vor falschem Gebrauch geschützt werden. Halal wurde so zum internationalen Standard, und sein Gebrauch geht weit über die Fleischproduktion hinaus; Wasser, Bonbons, Kosmetikprodukte, Arzneimittel etc. – alles kann unter dem Halal-Regime produziert werden. Letztendlich zählt alles dazu, was in Kontakt mit dem Körper kommen kann. Denn die Kontrolle über den Körper gehört für einen Muslim zum Glauben.
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