Wie essen Rastafaris?
Dreadlocks, Jamaika-Fahne und Reggea sind Markenzeichen der Rastas; weniger bekannt jedoch ist ihre Ernährung.
Rastafaris interessieren sich für Ernährung. ©Shutterstock/rj lerich
Woran denkt man zuerst bei Rastafaris? Üppige Löwenmähne, frei wallend oder unter bunten Mützen kunstvoll verborgen; Marihuana-Wolken steigen aus einem Joint auf; und Reggea... Doch auch ein Garten voller Obst und Gemüse könnte dazugehören! Denn die Anhänger von „Jah“ (d.h. Gott) essen Ital − eine Ernährung mit frischen, möglichst selbst angebauten Bio-Lebensmitteln. Nichts industriell Produziertes kommt auf den Tisch; Konserven und Lebensmittel, die durch Zusatzstoffe ‚ihrer Natur entfremdet‘ wurden, meiden sie.
Rasta-Anhänger versuchen, der Natur nahe zu sein und alles Leben – ob tierisch, ob pflanzlich – zu respektieren. Deshalb ernähren sich die meisten vegetarisch, also ohne Fleisch; einige essen Fisch. Viele Rastas studieren die Bibel, wo sie ihre Ernährungsprinzipien finden – z.B. im Buch Genesis: „Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“ (Genesis 1,29)
Die strengste Auslegung verbietet die Produkte der Weinrebe − Alkohol ist ausgeschlossen − sowie das Würzen mit Salz. Dagegen werden Kräuter und Gewürze reichlich gebraucht, was eine schmackhafte und aromatischen Küche ergibt.
Die ‚Lebensenergie‘ mehren
Was ist das Ziel dieser Ernährung? Ein reiner, gesunder Körper, erfüllt von „positiven Schwingungen“. Durch die Wahl möglichst frischer und natürlicher Lebensmittel soll die „livity“ gesteigert werden, was in der Rasta-Sprache „Lebensenergie“ bedeutet. Fleisch gilt als totes Lebensmittel; es führt nach Ansicht der Rastafari nicht zu „livity“, sondern verwandelt den Körper in einen „Friedhof“.
Um anzuzeigen, dass eine Speise im Geist der Jah-Jünger zubereitet wurde, fügt man das Wort ital hinzu (abgeleitet vom englischen vital): Ital-Suppe, Ital-Omelette usw. Manchmal werden die Zutaten der Rastafari-Küche auch mit dem Präfix i versehen – i-Banane, i-Paprika, i-Kürbis.....
Die Ital-Küche ist zentrales Element der Rastakultur. Deshalb kommt sie auch in zahlreichen Reggae-Songs vor, etwa in No bones no blood von Lutan Fyah oder Wha Me Eat von Macka B. Der Clip dazu zeigt, wie der Sänger in einem Restaurant ein serviertes Gericht zurückweist, das nicht seiner Ernährungsweise entspricht; er übernimmt selbst die Küche und verteilt dann reichliche Portionen von Ital-Essen an alle.
Vorreiter der regionalen Küche
In den Augen ihrer Anhänger beschränkt sich Ital-Ernährung nicht darauf, die Seele zu reinigen. Sie verhilft auch zu Unabhängigkeit und Selbstversorgung. „[In Jamaika] starteten die Rastas ein Projekt zur Nutzung einheimischer Pflanzen sowie Obst- und Gemüsesorten, um nicht, wie der Rest des Landes, von Lebensmittelimporten abhängig zu sein. Süsskartoffeln, Bananen, Kochbananen, Callaloo, Chocho und einheimische Produkte, die einst zur Nahrung der Sklaven gehörten, bereiten die Rastas akribisch zu.“1 Gartengemüse dient als Nahrung, Heilkräuter als Medizin. Bis heute ist die Bewirtschaftung eines Stücks Land bei den Rastas weit verbreitet; so leben sie im Einklang mit der Natur. „Mein Leben? Pflanzen und ernten, was die Erde uns schenkt“, sagt Orette und zeigt auf den kleinen Obstgarten des Culture Yard (Kingston, Jamaika). „Weisst du, Rasta zu sein, ist mehr als eine Religion, es ist eine livity, ein Lebensstil, es bedeutet, ein bescheidener Bestandteil des grossen Lebenskreislaufs der Natur zu sein.“2
Ein cooler Ernährungsstil
Trotz genauer Grundsätze gilt ihren Anhängern die Ital-Ernährung − und generell der Rastafari-Lebensstil − nicht als Dogma, dem man sich als guter Rasta unterwerfen muss. Jeder kann die Prinzipien seinem Verständnis und seiner persönlichen Überzeugung anpassen. Levi Roots, ein jamaikanischer Musiker, der mit seinen Reggae-Reggae-Sauce-Flaschen berühmt wurde, brachte in England eine Produktlinie mit Snacks und Fertiggerichten auf den Markt. Ras Mokko, jamaikanischer Koch der Koch-Show „Ras Kitchen“, bereitet seine Menüs mit Hühnchen und verschiedenen Fischen zu. Überraschenderweise gibt er seiner Ital-Suppe Hühneraroma in Pulverform bei, verwendet jedoch kein Salz, da dies schlecht für die Gesundheit sei und ausreichendes Essen verhindere: „Salz lässt deine Knochen verfaulen, es ist ungesund und führt zu Bluthochdruck! Verdammt schlimme Schmerzen überall im Körper, im Magen... und wenn Du kein Salz isst, kannst du mehr essen. Mehr, weil kein Salz dran ist. Stark gesalzenes Essen, kann man nicht zu sich nehmen. Auf keinen Fall, Mann!“3.
Der Ital-Ernährungsstil ist also ziemlich frei interpretierbar. Ein Anhänger würde auch niemals die Praktiken seiner „Brüder“ kritisieren; denn Brüderlichkeit und Toleranz stehen ganz oben in der Rasta-Ethik.
Auf unserem kleinen Hof bauen wir qualitativ hochwertiges Obst und Gemüse an, um autark zu werden. Noch habe ich meinen Beruf nicht aufgegeben, doch ich denke darüber nach. Ich gebe zu, dass Ackerbau in meiner livity eine grosse Rolle spielt, denn beim Bearbeiten der Erde betet man. Die Erde ist das Leben, die Mutter von allem... Ackerbau ist eine heilige Aufgabe. Baue ich biologisch an? Ich mag den Begriff „biologisch“ nicht besonders, weil er zu einem leeren Versprechen in den Supermarktregalen verkommen ist... Ich definiere meine Nahrung lieber als einfach und spontan [also von innen heraus kommend].“