Fermentierte Getränke
Kombucha, Kefir und Kwas haben weltweit Anhänger. Ihre positive Wirkung auf die Gesundheit ist jedoch noch nicht bewiesen.
Kwas, ein Fermentationsprodukt aus Roggenbrot, ist in Russland beliebt. ©Shutterstock/Davidchuk Alexey
Kombucha, leicht prickelnd mit fruchtig-säuerlichem Geschmack, findet immer mehr Anhänger. Der fermentierte Schwarztee aus dem Fernen Osten1 soll gegen viele Übel wirken – von Akne über Krebs bis zu Darmbeschwerden. Die Konsumenten sind so von dem Getränk überzeugt, dass es der neuesten Studie von Markets and Markets2 zufolge im Jahr 2020 einen Weltmarktanteil von 1,8 Milliarden Dollar (2015: 0,6 Milliarden) erreichen könnte.
Dieselbe heilende Wirkung wird auch Kefir zugeschrieben, einem dem Kaukasus entstammenden, dünnflüssigen Joghurt. Das süss-säuerliche Milchgetränk wird besonders in Russland und Nordeuropa geschätzt; es entsteht durch Fermentation von Milch3. Kwas, auch Brotgetränk genannt, ist weniger bekannt als Kombucha und Kefir; es ergibt sich durch Fermentation von Brot und gehört zu den meistkonsumierten Getränken Russlands4.
Zum Verständnis hilft ein wenig Chemie
Diese Getränke haben jeweils eine eigene Geschichte. Ihre aktuelle Beliebtheit verdankt sich der Gärung, einem natürlichen Vorgang, den der Mensch schon vor 12 000 Jahren kannte5. Dabei stossen Mikroorganismen − Bakterien und Hefen − eine chemische Reaktion an. Unter Luftabschluss in einer Flüssigkeit mit Umgebungstemperatur wandeln Bakterien den im Lebensmittel enthaltenen Zucker in Säure um, Hefen transformieren ihn in Alkohol oder Kohlendioxid. Daher schmecken Kombucha, Kefir und Kwas säuerlich, prickeln und enthalten manchmal ein wenig Alkohol.
Für Kombucha gibt man gezuckertem Schwarztee eine milchig-gallertartige Masse, den „Kombucha-Pilz“, zu, der die Gärung auslöst. Äusserlich einem Pilz ähnlich, ist er tatsächlich eine Bakterien- und Hefekultur, wie es das englische Akronym SCOBY – Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast – sagt. Beim Kontakt der Mikroorganismen des Scoby mit der Flüssigkeit vermehren sie sich und wandeln den enthaltenen Zucker um. Diese Fermentierung dauert ein bis zwei Wochen. Danach wird der „Kombucha-Pilz“ ausgefiltert – das Getränk ist trinkfertig.
Dasselbe Prinzip wirkt auch bei der Kefirzubereitung, erklärt Jenny Neikell, Autorin von Les bienfaits de la fermentation (Die Vorteile der Fermentation) von 20166. Hier wird die Fermentation von Kefirknollen angestossen, kleinen, weissen blumenkohlähnlichen Knollen, die bei Milchkontakt Hefen und Bakterien freisetzen. Steigen sie zur Oberfläche, ist der Kefir fertig. Für Kwas wird Roggenbrot geröstet und dann mit Zucker, Hefe und verschiedenen Kräutern in Wasser eingeweicht.
Probiotika-Lieferanten
Die meisten Bakterien sind trotz ihres negativen Rufs nicht krankheitserregend. Der Organismus braucht sogar Bakterien und Hefen für sein gutes Funktionieren – die sogenannten Probiotika7.
Probiotika kommen natürlich in der Darmflora – dem intestinalen Mikrobiom – vor. Sie produzieren die zu Abbau und Verdauung der Nahrung notwendigen Enzyme. Sie liefern ausserdem Nährstoffe wie Vitamin K und bestimmte B-Vitamine sowie Mineralien und verhindern die Ansiedelung krankheitserregender Bakterien oder Hefen im Darm.
Für eine ausgeglichene Darmflora scheinen die fermentierten Getränke nützlich zu sein, denn die bei der Fermentierung aktiven Hefen und Bakterien sind ebenfalls probiotisch. „Diese Getränke sollen wie eine Vorverdauung wirken“, erklärt Embryette Hyde, Chefin des American Gut Project8.
Tatsächlich werden die gegorenen Getränke durch die Umwandlung des Zuckers sauer, was für bestimmte Krankheitserreger unzuträglich ist. Nur die „guten“ Bakterien und die „guten“ Hefepilze können sich also vermehren. Das Ergebnis: Kombucha, Kefir und Kwas sind bekömmlich, da die Mikroorganismen den Zucker abgebaut haben. Übrigens – die von den Hefen und Bakterien erzeugten Enzyme wandeln Fette in Fettsäuren, Proteine in Aminosäuren und komplexe in einfache Kohlenhydrate um.
Vieldiskutierte Vorzüge
Trotz der für die Verdauung anerkannt positiven Wirkung äussert sich die Wissenschaft zurückhaltend zu den weiteren Vorzügen dieser Produkte. „Der Verzehr fermentierter Nahrungsmittel erhöht die Vielfalt der Mikroorganismen in der Darmflora, aber es bleibt noch immer schwierig, die genaue Wirkung auf die Darmflora festzustellen“, präzisiert Embryette Hyde. „Dazu braucht es noch weitere Studien.“
Laut Aristea Baschali9 „beruhen die diesen Getränken zugeschriebenen Vorzüge vor allem auf persönlichen Erfahrungen“. Sie hält fest, dass „die bisherigen wissenschaftlichen Studien sich vor allem auf Kombucha und Kefir bezogen. Eine positive Wirkung dieser Getränke auf die Gesundheit wurde jedoch nicht bewiesen“.
Diese Meinung teilt Waisundata Yashasvi Viduranga10 von der Fakultät für angewandte Wissenschaften an der Rajarata University in Sri Lanka: „Wie alle sogenannten ‚probiotischen‘ Produkte auf dem Markt können diese Getränke die Darmflora beeinflussen. Dennoch sind es keine Medikamente. Ihre Wirksamkeit hängt von der Zusammensetzung des Ferments ab. Bei Kombucha enthalten einige Scoby mehr Probiotika als andere.“ Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen hält zudem fest, dass Probiotika nur positiv wirken, wenn sie in ausreichender Menge konsumiert werden11. Zudem gibt es verschiedene Probiotika-Stämme mit unterschiedlicher Wirkung. Auf Flaschen von Kefir, Kwas oder Kombucha ist nie angegeben, ob sie die richtigen Stämme in richtiger Menge enthalten12.
Auf toxische Risiken von Kefir und Kombucha wird übrigens deutlich hingewiesen. „Bei Kefir stellten einige Studien das Vorkommen von biogenen Aminen fest“, erklärt Aristea Baschali. „In grosser Menge verzehrt, können sie ein Gesundheitsrisiko darstellen, vor allem bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Übermässiger Kombucha-Konsum verursacht bei einigen Menschen Bauchschmerzen oder sogar eine Stoffwechselazidose, ein Säureanstieg im Blut.“
1995 empfahl die amerikanische Arznei- und Nahrungsmittelaufsicht nach zwei von Kombucha verursachten Vergiftungen Personen mit geschwächtem Immunsystem13, auf das Getränk zu verzichten. 2009 wiederholten Ärzte in Los Angeles diese Empfehlung, nachdem ein junger, HIV-positiver Mann eine Kombucha-Vergiftung erlitten hatte14.
Allerdings sollte man diese Getränke auch nicht verteufeln. „Sie können die Symptome einiger Risikogruppen verstärken, aber an sich sind sie nicht giftig“, beruhigt Embryette Hyde. Waisundata Yashasvi Viduranga bestätigt: „Wie alle Nahrungsmittel sollten sie bei einer ausgewogenen Ernährung in geringen Mengen konsumiert werden. Das Risiko beginnt beim übermässigen Verzehr.“
Glossary
Microorganisms
Microscopic living creatures found in the human body, in food and in the environment. There are countless types of microorganisms, but those active in the fermentation of foodstuffs are bacteria, yeasts and fungi.
Probiotics
These are harmless living microorganisms, mainly bacteria belonging to the genera Lactobacillus, Bifidobacterium and Streptococcus, and Saccharomyces boulardii yeasts. They are naturally present in our intestinal flora, but may also be found in some foodstuffs and food supplements.
Intestinal flora
This refers to the billions of microorganisms that live along the digestive tract. Today, it is more common to speak of intestinal microbiota.
Vitamin B
The B vitamins produced by probiotics are vitamin B2, which acts on the hormonal system, and vitamin B12, which acts on the nervous system and is important in the production of red blood cells.
Vitamin K
The K vitamins produced by probiotics are vitamin K1, which affects blood coagulation and vitamin K2, which is reputed to have anticancer properties. It also helps fix calcium on bones, preventing it from blocking arteries.
Biogenic amines
These molecules originate when amino acids are degraded and so indicate the freshness of food. During the fermentation process, microorganisms break down proteins to make amino acids, which are easier for the body to assimilate. These may in turn be converted into biogenic amines. The best known is histamine, but there are many more, such as tyramide, putrescine, cadaverine and spermidine.
Lexikon
Mikroorganismen
Mikroskopisch kleine Lebewesen im Körper, in der Nahrung oder in der Umgebung. Es gibt eine Vielzahl von Mikroorganismen; aktiv an der Fermentierung von Nahrungmitteln beteiligt sind Bakterien, Hefen und Pilze.
Probiotika
Lebende, nicht krankheitserregende Mikroorganismen, hauptsächlich Bakterien des Typs Lactobacillus, Bifidobacterium und Streptococcus, oder Hefen des Typs Saccharomyces boulardii. Sie kommen natürlich in der Darmflora vor, können auch in Nahrungsmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein.
Darmflora
Milliarden im Darmtrakt lebender Mikroorganismen. Heute spricht man von intestinalem Mikrobiom.
Vitamin B
Zu den von Probiotika produzierten B-Vitaminen zählen Vitamin B2 (beeinflusst das Hormonsystem) und Vitamin B12 – wirkt auf das Nervensystem, ist an der Produktion der roten Blutkörperchen beteiligt.
Vitamin K
Bei den von Probiotika erzeugten K-Vitaminen handelt es sich um Vitamin K1, das bei der Blutgerinnung aktiv ist, und Vitamin K2, das gegen Krebs wirken soll. Letzteres festigt das Kalzium in den Knochen und verhindert ein Absetzen in den Blutgefässen.
Biogene Amine
Diese Moleküle zeigen die Frische von Nahrungsmitteln an. Sie entstehen bei der Zersetzung von Aminosäuren. Bei der Fermentierung wandeln Mikroorganismen Proteine in Aminosäuren um, die der Körper leichter aufnimmt. Letztere werden wiederum in biogene Amine zerlegt – darunter als Bekanntestes Histamin, sowie Tyramin, Putrescin, Cadaverin und Spermidin.