Die Musik der Rebstöcke
Er steht beidbeinig auf der Erde und ist zugleich ein Träumer: Dieser neugierige protestantische Hedonist produziert Weine allererster Güte.
Etikettierbereite Flaschen liegen wie Tasten einer Duftorgel, die das Anbaugebiet feiern... ©Christophe Schenk
Der Weinkeller von Christophe Schenk liegt in einer Spalte des Felsausläufers bei Villeneuve und ist wie ein Adlerhorst oder – für Weinliebhaber – ein Geheimnis, das man flüsternd weitergibt. Der an der Spitze des Familienweinguts stehende Christophe Schenk ‘dirigiert’ dieses Weinbauerbe und er kennt die ‘Musik’: Als Winzer und Gründer der associaton contrepoint, die klassische Musikkonzerte veranstaltet, scheint er zwischen der Leidenschaft für Harmonie und Kreativität hin und her gerissen. Doch sein Ansatz der Bodenbearbeitung ist fern vom Spleen eines Gentleman Farmers, der Weinbau dilettantisch betreibt: Als gewiefter Techniker und feiner Beobachter von Bodenbeschaffenheit und Rebsorten versteht er es, das Beste aus dem Boden und seinem Charakter herauszuholen. Deshalb wurde seinem Chasselas Grand Cru Jahrgang 2013 (AOC Chablais-Villeneuve) die ehrenvolle Auszeichnung durch Robert Parker, einem Papst der Weinkritik, zuteil… Begegnung mit einem Wahl-Waadtländer, der uns Keller und Herz öffnet.
Alles begann mit meinem Vater, der Ende der 1970er Jahre 50jährig beschloss, Wohnort und Beruf als Rechnungsprüfer und Direktor einer Treuhandgesellschaft zu wechseln – eine echte Neuorientierung, die Originalität, Leidenschaft sowie Entschlossenheit voraussetzte und sein Unternehmen mit einer Prise Verrücktheit würzte. So erklärt sich z.B. seine Ortswahl für die Weinrebenpflanzung genau dort, wo Weinbau niemals für möglich gehalten worden wäre: sei es, weil die Parzellen nicht optimal ausgerichtet waren, oder weil sie zu hoch lagen. Seit Beginn war das Weingut also auf Qualität ausgerichtet, nicht auf Produktivität, die ohnehin unmöglich war. Mein Vater verbannte übrigens als einer der ersten Kunstdünger und synthetische Pflanzenschutzmittel! Die erste Weinbereitung ergab feine, elegante Weine von subtilem Charme, ein Gegenpol zu den Allerweltsweinen, die mit süsslichem, aufreizendem Geschmack für Furore sorgten. Nach seinem Tod haben meine beiden Schwestern und ich den Keller von 1996 bis 2005 gemeinsam geführt. Seit 2006 halte ich allein die Zügel des Weinguts, von dem ich heute zwei Drittel vermiete und ein Drittel völlig eigenständig bearbeite.
Seit 2006 werden alle von mir gepflegten Parzellen nach Bio-Prinzipien bearbeitet, nur mit Schwefel und Kupfer – und letzteres nur sparsam. Allerdings kann man nicht sagen, das Weingut entspräche dem „Kanon“ des biodynamischen Weinbaus. Zwar beachte ich die Mondphasen – dabei inspiriert mich die Forstwirtschaft –, doch verzichte ich auf das Einstreuen von Einhornpulver oder anderen esoterischen Substanzen auf das Weingut... Allgemein würde ich sagen, die eingesetzte Behandlung sollte nicht zu üppig sein: Da Reben robuste Pflanzen sind, müssen sie meiner Meinung nach etwas leiden, um ihr Bestes zu geben und den Charakter des Bodens herauszubringen.
Das ist schwer zu sagen, es gibt eine so reiche Auswahl! Sollte ich wählen, hätte ich eine Vorliebe für die Mondeuse, eine schlichte Rebsorte, die sich gut für Bio-Weine eignet und einen etwas herben Charme besitzt. Ich arbeite auch gern mit dem Sauvignon Blanc, selbst wenn er schwierig zu keltern ist, und natürlich mit unserem „nationalen“ Chasselas, der auch eher kompliziert, untypisch, sehr fein und mit recht niedrigem Alkoholgehalt ist – eine schwieriger biologisch auszubauende Rebsorte, da sie einen gewissen Komfort schätzt.
Zunächst einmal den Completer, eine Bündner Rebsorte, deren Name sich vom lateinischen completorium ableitet, zu Deutsch das Stundengebet, das in der katholischen Liturgie nach der Vesper das letzte Gebet des Tages darstellt. Doch ist er leider für unsere Region nicht sehr geeignet. Gern erwähne ich auch den Cornalin, der einen originellen und besonderen Wein ergäbe, wenn ich ihn auf dem Gut anpflanzen würde.
Jeder Jahrgang ist unterschiedlich, und auch Vorlieben ändern sich von Jahr zu Jahr. Doch im Allgemeinen habe ich einen Hang zum Névés, einen Chasselas non rétrogradé2 (AOC Chablais/Villeneuve), sowie für den Hautes côtes de lune, einen Pinot Noir Grand Cru, der Sie fast mit dem „Nachteil, geboren zu sein“3 versöhnt (AOC Côtes-de-l’Orbe/Chamblon)…
Bei der Vergärung habe ich vor einigen Jahren für die Rotweine eine Neuerung eingeführt. Vorher wurden die Beeren auf 5°C heruntergekühlt, um die Maischung in Gang zu setzten. Doch nun praktiziere ich die Gärung bei Raumtemperatur. Da ich Naturhefe verwende, würde ich bei Kaltgärung Gefahr laufen, dass die Maische falsch vergärt, während Gärung bei Raumtemperatur den natürlichen Zyklus der Weinbeere fördert.
Der Hautes côtes de lune würde mit einem Schubert-Lied harmonieren! Der Névés bringt mich zu Gaspard de la nuit (von Aloysius Bertrand) und besonders zu Ondine – Die Wassernixe Undine, dem ersten der drei von Ravel vertonten Gedichte.
Man kann die Kraft dieser kollektiven Begeisterung nur bewundern; sie macht aus dieser Tradition ein lebendiges Event der heutigen Zeit. Meiner Meinung nach müsste man jedoch die Tendenz der Veranstaltung zum Gigantismus hinterfragen, ohne als Spielverderber zu gelten. Doch abgesehen von diesem leichten Zweifel will ich meine Freude nicht verbergen: Dass ein derart „altbackener“, derart mit dem Boden und dem regionalen Erbe verwurzelter Beruf einmal pro Generation im Rampenlicht steht, ist eine wahrhaft erfreuliche Ehre! Nun liegt es an den etwa 90 Winzern der Confrérie und... an allen anderen, die im Kanton Waadt ebenso zahlreich mithelfen, sich auf die Zukunft vorzubereiten, um den Weinbau an die ökologischen und kommerziellen Herausforderungen von morgen anzupassen.