Fleischfachmann
Junge Schweizer meiden diesen Handwerksberuf. Die Branche sucht ein besseres Image mit Kundennähe und schmackhaften Rezepten.
Ein Beruf mit Bezug zur öffentlichen Gesundheit. Hier: Bundesinspektoren untersuchen geschlachtete Tiere, USA, 1910. ©Shutterstock/Everett Historical
Benoît Vionnet hat gerade seine Lehre angefangen. Der 15jährige aus Lausanne hat sich für ein traditionelles Handwerk, den Beruf des Fleischfachmanns entschieden, während seine Klassenkameraden eher Verkaufs- oder Dienstleistungsberufe bevorzugten. „Ich habe Fleischgerichte schon immer gerne gemocht“, erklärt der junge Mann. „Mir macht es Spass, mit diesem Rohstoff zu arbeiten und aus ihm Qualitätsprodukte herzustellen.“ Er weiss allerdings, dass seine zukünftige Tätigkeit nicht eben der Traumberuf der jungen Generation ist. „Manche waren erstaunt über meine Entscheidung“, sagt er, „andere haben gesagt, dass sie dieser Beruf etwas abstösst.“
Dieses von Benoît Vionnet beschriebene Unbehagen spricht auch aus der bitteren Feststellung unabhängiger Schweizer Metzgereien: junge Leute wollen diesen Beruf nicht mehr erlernen. Im Jahr 2000 zählte die Branche 735 Auszubildende1, 2017 nur noch 6222. 2016 schlug der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF) in einer Mitteilung Alarm3: jährlich 300 Ausbildungsplätze blieben unbesetzt. Die Folge: Die Metzgereien finden keinen Nachwuchs mehr. Vor 30 Jahren gab es noch über 2000 handwerkliche Metzgereibetriebe im Land; 2014 ist nur noch die Hälfte davon übrig4.
Für Markus Roten, bei der UPSV für Nachwuchsförderung zuständig, liegt der Mangel an jungen Metzgern auch darin begründet, dass in den vergangenen 20 Jahren neue Berufe mit Bezug zu Digitaltechnik und Dienstleistungen entstanden. Für die relativ konstante Zahl an Auszubildenden eröffnen sich also mehr Karrierechancen als früher. Daneben räumt er jedoch ein, dass das Berufsimage in jüngster Zeit gelitten hat. „Es gab einige Skandale in der Fleischindustrie, etwa den Rinderwahn “, sagt Markus Roten. „Ein weiteres Problem: Viele Jugendliche haben den Naturbezug verloren. Sie essen Fleisch, wollen jedoch nicht wissen, woher es kommt.“ Das Interesse für den Beruf hat nachgelassen, während zugleich fleischlose Ernährungsweisen populärer wurden. In der Schweiz gelten 11% der Einwohner als Vegetarier, 3% entschieden sich sogar für vegane Ernährung. Noch 1997 ernährten sich nur 2,3% vegetarisch5. Zudem finden Tierschutz-Bewegungen, allen voran der Antispeziesismus, zunehmend Anklang. Schockierende Filmaufnahmen aus Schlachthöfen prangern die Bedingungen der industriellen Tierhaltung und der von ihnen verursachten ökologischen Kosten an. Sie tragen so offensichtlich zur Bewusstseinsänderung bei und schaden dem Image der Fleischverarbeitungsberufe.
Kundennähe und Transparenz
Wie lässt sich das Interesse für den Beruf des Fleischfachmanns neu entfachen? Seit zwei Jahren versucht Markus Roten auf Berufsmessen, bei Tagen der Offenen Tür oder in Schulen das Image des Berufs zu verbessern. In sozialen Netzwerken veröffentlicht er Videos, in denen junge Metzger ihren Alltag schildern. Seine zentrale Botschaft: Fleischfachmann sein heisst nicht, Tiere zu töten. „Natürlich: Um Fleisch zu essen, muss man ein Tier töten. Doch das geschieht nicht in einer Metzgerei. Wir besorgen ausschliesslich die Verarbeitung.“ Markus Roten legt deshalb den Schwerpunkt auf Kundennähe und Rückverfolgbarkeit: „Die Verbraucher greifen mehr und mehr zu regionalen Produkten, deren Herkunft sie kennen. Heute entspricht der Fleischfachmann dieser Nachfrage, indem er Fleisch aus nichtindustrieller Tierhaltung anbietet.“
Er streicht einen weiteren Vorteil heraus: Während in vielen Branchen Maschinen den Menschen ersetzen, hat das Handwerk des Fleischfachmanns gute Chancen, diesen Wandel zu überdauern. Denn in den Industrieländern berücksichtigen junge Leute bei der Berufswahl mehr und mehr Aspekte wie Stabilität und Sicherheit. Das erklärt Andreas Fischer, Soziologe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: „Es zeigt sich eine Re-Materialisierung der Arbeitsorientierungen, was heisst, eine sichere Arbeitsstelle zu haben, ist gegenwärtig der am stärksten ausgeprägteste Berufswert unter Jugendlichen.“
Warum ist der Metzgerberuf dennoch so wenig attraktiv? Die Schweiz ist nicht das einzige Land, wo sich diese Abkehr feststellen lässt. In Frankreich fehlen jährlich mehrere tausend Metzger6, Vergleichbares zeigt sich in Deutschland7 und Grossbritannien8. Laut Andreas Fischer liegt die Ursache in den Arbeitsbedingungen und Belastungen: „Bezüglich Flexibilität bzw. Work-Life-Balance steht es bei diesem Beruf nicht gut. Es ist ein knallharter Job, mit zumeist komplizierten Arbeitszeiten und wenig Spielraum für Kreativität und Identitätsentwicklung.“
Blaise Morier ist der Chef unseres Auszubildenden Benoît Vionnet und Inhaber der über 50jährigen Boucherie du Tilleul in Prilly bei Lausanne. Ihm sind diese Nachteile bewusst. Für ihn lassen sich junge Leute nur mit dem Geschmacksargument überzeugen, diesen Beruf zu erlernen. „Wenn ich meine Arbeit an Märkten oder auf Berufsmessen vorstelle, offeriere ich immer Verkostungen verschiedener Fleisch- und Wurstsorten. Das Entbeinen der Fleischstücke bleibt Grundlage meines Handwerks, doch der kulinarische Faktor wird immer wichtiger.“ Deshalb hat Blaise Morier in den vergangenen Jahren auf Convenience-Produkte gesetzt: Spiesse, mariniertes Fleisch, fertig zubereitete Gerichte und Salate schmücken seine Auslagen. „Der Fleischfachmann von heute muss gerne kochen und seine Kunden mit neuen Geschmacksrichtungen überraschen. Meiner Erfahrung nach wirkt dieser Aspekt auf viele Jugendliche anziehend.“
Benoît Vionnet hingegen malt sich schon eine grosse Zukunft aus: Seit gerade einem Monat in der Ausbildung, sieht er sich in einigen Jahren schon eine eigene Metzgerei übernehmen. Stört ihn die mangelnde Wertschätzung seines Berufs? „Im Gegenteil. Ich sage mir, wenn so wenige junge Leute als Fleischfachmann arbeiten wollen, werden meine Chancen umso besser.“