Religion und Alkohol
Alkoholische Getränke sind in zahlreichen Religionen symbolisch aufgeladen. Islam und Buddhismus lehnen Alkohol wegen seiner psychischen Wirkung ab; anderen Religionen ist er ritueller Bestandteil. So ist Bier bei den Fali in allen Zeremonien präsent, während Wein im Judentum sakrale Funktion hat.
Die zwei Seiten des Alkohols
Alkoholhaltige Getränke sind in zahlreichen Religionen präsent. Bier, Wein, in Mittelamerika aus Agavensaft gewonnenes Pulque, Chicha auf Maisbasis in den Anden oder Reis-Alkohol im Fernen Osten: diese fermentierten Getränke sind symbolträchtig. Der Fermentierungsprozess ist komplex, erfordert Know-how und wurde vielleicht deshalb durch göttliche Beteiligung erklärt. Wein hat z.B. schon früh das Blut dargebrachter Opfertiere ersetzt und ermöglichte so die Kommunikation mit den Göttern. Die katholische Kirche sakralisiert den Wein als das Blut Christi.
Alkohol kann jedoch auch zum Symbol für Exzess und Verwirrung werden. Sein Konsum hat Auswirkungen auf die Psyche, wirkt belebend und befreiend, kann aber auch auf Abwege und zu asozialem Verhalten führen. Manche Religionen unterscheiden Mässigung, Trunkenheit und Trunksucht, betrachten Alkoholgenuss als ungeordnet und tolerieren leichten Rausch nur in bestimmtem Zusammenhang. Buddhismus und Islam verdammen ihn, da er zum Verlust der Selbstbeherrschung führt. Die sunnitische Tradition sagt, dass „Alkohol der Vater aller Sünden ist und die schändlichste aller Sünden darstellt“ (Sounan Ibn-Majah, Hadith 3371). Wein wird allerdings als Getränk im Paradies versprochen.
Rituelle Funktion von Alkohol
Alkohol hat in antiken Ritualen einen wichtigen Platz. Als Trankopfer begleitete er die Toten auf ihrer letzten Reise, war Bestandteil bei Übergangsriten – z.B. bei Lebenszyklen oder Jahreszeiten. Er konnte auch zu mystischer Trunkenheit führen. Bis heute sind Religion und Alkohol verbunden, z.B. bei Animisten oder Polytheisten. Bei den Fali in Kamerun ist das Hirse-Bier bolo ein festliches Getränk und Bestandteil aller Rituale. Es wärmt den Körper bei Initiationen wieder auf. Als Opfer dient es der Kontaktaufnahme mit den Ahnen und übernatürlichen Mächten. Auf die Psyche wirkende Getränke helfen, in die jenseitige Welt einzudringen und mit Geistern zu kommunizieren; sie finden sich auch in schamanistischen Ritualen wieder – z.B. Ayahuasca (ein Getränk aus Lianen) im Amazonas-Gebiet.
Wein ist zentraler Bestandteil auch der christlich-jüdischen Religion. Das Judentum verehrt ihn als heilig und schreibt seinen Genuss rituell vor. Jede Mahlzeit an einem Feiertag oder Sabbat beginnt mit dem ‚Kiddusch‘, der Segnung des Weins noch vor der des Brotes. Der Weinkelch wird anschliessend unter den Gästen herumgereicht. Während des Seder-Mahls an Pessach, eines der wichtigsten jüdischen Feste, trinken Erwachsene und Kinder vier Becher Wein in bestimmten Abständen. Mit diesen Bechern wird u.a. die Freude über die wiedergefundene Freiheit ausgedrückt, sie spenden Genuss und preisen Gottes Grossmut. Wein spielt auch am Purimsfest, das an die Rettung der Juden in der persischen Dispora erinnert, und an Simchat Thora, dem Thorafreudenfest, eine ehrenvolle Rolle. Am Purimsfest soll sogar sehr viel Wein konsumiert werden, um Freude auszudrücken. Trotz dieser Feste, beschränkt die jüdische Religion Alkoholkonsum und erlaubt ihn nur in bestimmtem Rahmen. Das Christentum toleriert den Alkohol in Gemeinsamkeit und Gastlichkeit, geisselt aber Trunksucht, die sie als die Sünde der Völlerei zur Befriedigung fleischlicher, egoistischer Bedürfnisse ansieht.
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https://socio-anthropologie.revues.org/421, consulté le 10 mars 2017.