Nutzen und Nachteil von Kartoffeln
Im 16. Jh. erreichte die Kartoffel Europa, stand jedoch in schlechtem Ruf. Da sie aus derselben Familie wie die „verrufene“ Alraune stammte, galt sie als unedle Knolle mit gesundheitsschädlicher Wirkung. Sie diente – ausser bei Hungersnot – als Schweinefutter. Erst im 18. Jh. stieg sie zur menschlichen Ernährung auf, wurde aber ihr Arme-Leute-Image nicht los, was sich erst in den 1950er Jahren änderte.
Von der Abneigung zur Berühmtheit
Spanier und Briten brachten die Kartoffel im 16. Jh. aus Südamerika mit, wo sie als Grundnahrungsmittel diente. Wie alle neuen Nahrungsmittel erregte sie zunächst Neugierde, bald aber auch Misstrauen oder gar Abneigung. Botaniker befanden sie als essbar, jedoch wenig interessant und ordneten sie der Familie der Nachtschattengewächse zu. Dadurch verband sie sich mit anderen, als gefährlich bekannten Pflanzen – zum Beispiel mit „Hexenpflanzen“ wie Tollkirsche und Alraune.
Das in der Renaissance gebräuchliche Pflanzenordungssystem war der Kartoffel nachteilig: es teilte die Pflanzen nach einem vertikalen, hierarchischen Prinzip ein, bei dem die Erde das unwürdigste, unheimlichste und gottesfernste Element war. Folglich zählten die unterirdisch wachsenden Zwiebeln und Knollen zu den niedersten Nahrungsmitteln, bestimmt für die stabilen Mägen der Bauern. Aristokraten assen luftige und sonnige Früchte oder Erbsen, um bei guter Gesundheit zu bleiben.
Auch Geschmack und Zubereitungsart trugen nicht zur Beliebtheit der Kartoffel bei, war sie doch noch klein, schmeckte streng und bitter. Zudem wurde sie meist grün geerntet und bei Tageslicht aufbewahrt, sodass hoher Solaningehalt Verdauungsstörungen auslöste. So setzte sich ihr Ruf als ungesundes Nahrungsmittel vielerorts fest. Der Schweizer Botaniker Caspar Bauhin (1560–1624) beschuldigte sie, Lepra auszulösen. Die französische Franche-Comté verbot deshalb sogar den Anbau.
Die einzigen anerkannten Vorzüge der Kartoffel entwickelten sich schliesslich zu ihrem Nachteil. Sie hatte ausgezeichnete Erträge, liess sich als Zwischenkultur auf Brachland anbauen und unterlag nicht dem Zehnten. Daher galt sie als ideales Schweinefutter, aber als unattraktiv für die Menschen, zumal sie auch nicht zum Brotbacken taugte. Man musste auf Notzeiten warten, bis die Kartoffel das Brot ersetzte
Ab dem 18. Jh. entwickelte sich die Kartoffel zum Ersatznahrungsmittel bei Getreidemangel; sie deckte auch den Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Bevölkerung. Die Agronomen züchteten weniger giftige und herbe Sorten mit niedrigerem Solaningehalt. Eliten und Ärzte sahen sie als unschädlich an und unterstützten Kartoffelanbau, um die Ernährung der Armen zu verbessern.
Als Pflanze der Volksernährung verbreitete sich die Kartoffel auch im 19. Jh. über die durch die Industrialisierung neuentstehende Arbeiterklasse. Ihr Verbrauch blieb – wegen der Rationierungen – bis nach dem Zweiten Weltkrieg hoch. Ab den 1950er Jahren verbesserte sich das Image der Kartoffel, und vielfältige kulinarische Zubereitungen wurden erfolgreich. Pommes Frites, Chips, Flocken für Püree: Die Knolle fand ihren Platz in der Ernährung der Städter und im Fastfood. Die Wertschätzung regionaler Küche ab den 1980er Jahren rehabilitierte die Kartoffel bei bekannten Köchen und öffentlich mit Rezepten z.B. für Gratins.
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