Nahrungsmittel-handel und Angebot
Die im 19. Jh. beginnende industriell betriebene Landwirtschaft erzeugt in Industrieländern ein mehr als ausreichendes Angebot. Neben den grossen Lebensmittelproduzenten spielen auch handwerklich organisierte kleinere Betriebe eine wichtige Rolle. Das starke Angebot beschert Grundnahrungsmittel zu erschwinglichen Preisen und in nie gekannter Vielfalt. Das Angebot regionaler, gesundheitsbezogener oder biologischer Produkte erweitert sich stetig, um eine immer differenziertere Nachfrage zu bedienen.
Ein spektakuläres Wachstum
Jahrhundertelang waren Nahrungsmittelproduzenten herausgefordert, eine infolge des Bevölkerungswachstums kontinuierlich steigende Nachfrage zu bedienen. Die um 1800 in Europa beginnende technische Innovation sowie die daraus folgende landwirtschaftliche Revolution im darauffolgenden Jahrhundert ermöglichten eine anhaltende Steigerung der Ernte- und Zuchterträge. Parallel entwickelten sich leistungsfähigere Konservierungstechniken und Transportmittel.
In den Industrieländern wuchsen zahlreiche Unternehmen des Ernährungssektors auf spektakuläre Weise. Die 1970er Jahre sahen eine nie gekannte Massenproduktion und einen Massenkonsum von Nahrungsmitteln, die sich überdies stetig verbilligten und über immer grösser werdende Einzelhandelsketten vertrieben wurden.
Jedoch stammt dieses Angebot nicht allein von der Nahrungsmittelindustrie. Handwerklich organisierte kleinere Betriebe existierten weiter. Die Nachfrage einiger Verbraucher nach nichtstandardisierten Lebensmitteln erlaubt etwa Bäckern, sich von der Konkurrenz abzuheben und individuelle Dienstleistungen und Produkte anzubieten.
Im Handel setzten sich seit den 1990er Jahren die Eigenmarken der Lebensmittelketten durch und bauten eine Konkurrenz zu den grossen, bekannten Marken auf. Die Eigenmarken kopierten deren Produkte, verkauften sie jedoch, weil von Werbungskosten unbelastet, billiger. Sie werden oft von kleineren oder mittleren Betrieben hergestellt und von einer Lebensmittelkette bestellt.
Derzeit ist das Angebot in den Industrieländern mehr als reichhaltig und bietet der Mehrzahl der Verbraucher eine nie gekannte Vielfalt an Produkten.
Zielgerichtete Angebote
Nie zuvor konnten Käufer das ganze Jahr über aus einer derart grossen Produktvielfalt auswählen. Internationaler Handel und effiziente Produktionsketten ermöglichen einen kontinuierlichen Warennachschub. Das Angebot erweitert sich ständig: In den USA erscheinen jährlich mehr als zehntausend Neuheiten auf dem Markt. Neben teuren Spitzenprodukten stehen auch günstige Lebensmittel im Regal. Denn auch wenn der Preis nicht das einzige Kaufkriterium ist, bedarf der Handel auch preisgünstiger Artikel, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Um den Markt zu stimulieren und ihre Marktanteile zu steigern, stützen sich Anbieter auf soziodemografische Daten. Je nach Alter und Geschlecht werden bestimmte Produkte bevorzugt. Auch Einwanderung generiert neue Nachfrage und führt zu einem ethnisch segmentierten Essensangebot. Eine andere Strategie aus jüngster Zeit stützt sich auf präzise Nachfragen beim Verbraucher - was allerdings mehr Flexibilität auf Unternehmensseite verlangt. Der Produzent passt sich z.B. der steigenden Nachfrage nach Hühnerbrüsten in Europa an und liefert sie in kürzester Zeit in die Supermärkte; den Rest des Hühnchens verkauft er eingefroren in andere Weltregionen.
Bestimmte Verbraucher wenden sich von industriell produzierten Lebensmitteln ab und suchen nach Authentizität oder anderen individuellen Eigenschaften des Essens. Auch auf deren Nachfrage reagiert das Angebot. Functional Food, also mit Vitaminen, Mineralien oder anderen Inhaltsstoffen angereicherte oder nur wenig Fett und Zucker enthaltende Nahrungsmittel werden zunehmend nachgefragt. Regionale, fair gehandelte oder Bio-Produkte waren lange Zeit nur in Spezialgeschäften erhältlich; heute sind sie überall zu finden. Parallel dazu nimmt die Anzahl an Zertifikaten und Labels exponentiell zu. Zum Schluss bleibt beim Käufer die Qual der Wahl – und das Risiko, den Überblick zu verlieren.
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