Glutenfrei
Eine vollkommen glutenfreie Ernährung müssen Menschen einhalten, die gegen dieses pflanzliche Protein allergisch oder intolerant sind, nicht jedoch wer es verträgt. Es ist ratsam, bevor eine solche Diät wegen Unverträglichkeit begonnen wird, ärztlich zu überprüfen, ob und in welchem Masse ein Kausalzusammenhang zwischen Gluten und Symptomen besteht.
Intolerant gegen Gluten oder FODMAP?
Als der Tennisstar Novak Djoković bekanntgab, auf Gluten und Laktose zu verzichten, überraschte dies niemanden. Im Gegenteil: glutenfreie Lebensmittel stehen hoch im Kurs. Wirtschaftsexperten nehmen an, dass der weltweite Handel solcher Produkte im Jahr 2020 ein Volumen von 3 Milliarden Euro erreicht.
Gluten findet sich vor allem im Weizen, doch auch in anderen Getreiden wie Roggen, Hafer oder Gerste. Es ist ungiftig, ruft jedoch bei manchen Menschen unterschiedliche Beschwerden hervor. Dabei sind drei verschiedene Krankheitsbilder zu unterscheiden: die Glutenallergie, die Glutenintoleranz (Zöliakie) und die nicht-zöliakische Glutensensitivität.
Die Glutenallergie ist selten. Sie ist eine anomale Reaktion des Immunsystems auf Gluten, das, als Fremdkörper wahrgenommen, einen unmittelbaren oder Stunden nach Aufnahme aktivierten Abwehrmechanismus auslöst. Diese Körperreaktion äussert sich als Jucken und Schwellung im Mundbereich, als Verdauungsstörung, Hautreizung oder Atembeschwerden. Die Zöliakie oder Glutenintoleranz ist heimtückischer. Da der Körper das Gluten nicht verdauen kann, führt sie zu Verdauungsproblemen, auch zu Konzentrationsstörung und Müdigkeit. Während bereits eine geringe Menge Gluten eine Allergie auslöst, richen sich die Symptome der Zöliakie proportional nach der aufgenommenen Menge – je mehr, desto stärker zeigt sich die Krankheit. Sowohl die Glutenallergie als auch die Zöliakie basieren auf genetischer Veranlagung; Fachärzte können sie leicht diagnostizieren. Beide Fälle verlangen eine glutenfreie Diät, um Symptome zu vermeiden. Anders als Allergie und Zöliakie ist die nicht-zöliakische Glutensensitivität, über die zunehmend geklagt wird, schwer zu diagnostizieren, da der Körper in diesem Fall keine Gluten-Antikörper produziert. Die oft mit Bauchschmerzen einhergehende Glutensensitivität ist ein bis heute unspezifisches Leiden ohne wissenschaftliche Erklärung. Doch die Patienten empfinden sie und assoziieren sie mit Symptomen ähnlich denen der Glutenintoleranz: Durchfall oder Verstopfung, Blähungen, Erschöpfung, Kopf- und Gelenkschmerzen, Hautreizungen. Einziges Mittel zur Symptomlinderung ist Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel.
Allerdings kann Gluten nicht direkt für diese Symptome verantwortlich sein. Studien haben gezeigt, dass sie durch FODMAP (Fermentable, Oligo-, Di-, Mono-saccharides And Polyols), ein englisches Akronym für fünf Zuckerarten, die sich in den Ballaststoffen einiger Pflanzen finden, verursacht werden können. FODMAP kommen natürlich in glutenhaltigen Lebensmitteln vor. Eine FODMAP-freie Ernährung kann eine Symptomlinderung erklären, ohne dass Gluten dafür verantwortlich wäre.
Wie verbreitet Glutensensitivität ist, bleibt noch zu klären. Bis dahin raten Gesundheitsexperten, einen Arzt aufzusuchen, bevor man eine glutenfreie Diät beginnt; sonst lässt sich die Krankheit nicht mehr verlässlich diagnostizieren, da der intolerante Mensch keine Antikörper mehr produziert. Ausserdem ist die Diät nicht risikolos. Frauen vor oder während der Menopause, die den Verzehr von Laktose und Gluten stoppen, sind besonders anfällig mit – ohne Auslgeich des resultierenden Kalzimumdefizits – erhöhtem Risiko für Mangelerscheinungen wie Osteoporose. Ganz allgemein nimmt das Risiko eines Mangels zu, da glutenfreie Lebensmittel wie Reis oder Mais nur wenig Ballaststoffe, Zink und Vitamine enthalten. Eine glutenfreie Ernährung ist zudem gefährlich für gesunde Kinder, die keiner besonderen Diät bedürfen. Sie riskieren vor allem einen Mangel an Vitamin B, wichtig für das Nervensystem, und an für das Wachstum notwendigen Spurenelementen.
Ein identitätsstiftendes Marketingprodukt
Glutenfreie Diät weist noch auf eine andere Realität hin – das Bedürfnis, sich mit Stars zu identifizieren, sich eine neue Ernährungs-Identität zuzulegen: ‚100% gluten-frei‘. Gwyneth Paltrow, Manuel Valls und Lady Gaga – alle verzichten auf Gluten und behaupten, sich nun besser zu fühlen. Wer dieses Pflanzenprotein nicht isst, unterscheidet sich von anderen. Geht es bei der Popularität von ‚glutenfrei‘ vielleicht darum?
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