Das Opferfest und die Weitergabe rituellen Wissens
Das Opferfest wird – in der Stadt oder auf dem Land - in Ländern mit dem Islam als Staatsreligion als offizieller Feiertag, in laizistischen Ländern als Familienfest gefeiert. Traditionell vollzieht der Familienvater das Opferritual; von ihm übernehmen die Söhne dessen Wertvorstellung und Vollzug. Das Fest erinnert an den Gehorsam Ibrahims, seinen Sohn zu opfern; es verbindet Gastfreundschaft und Teilen als religiöse und sittliche Gebote seit alters bis heute.
Der heimische Herd als Opferort
Wer nicht nach Mekka pilgert, nutzt den heimischen Herd als Ort für das Opferfest. Auch wenn jede Familie das Fest im engsten Kreis feiert, ist es ein Gemeinschaftsritual, das gleichzeitig von allen Mitgliedern der muslimischen Gemeinschaft vollzogen wird. Das letzte Gebet des Festes kündigt den Augenblick an, in dem das Schaf nach den gebotenen muslimischen Regeln (halal) durch einen Halsschnitt getötet wird (Schächtung). Früher, in den Dörfern bzw. Nomadenlagern, kamen alle Bewohner für das Opferritual an einem Ort zusammen, während in den Städten, wo heute die Mehrheit der Muslime lebt, das Schlachten von Sicherheits- und Hygienevorschriften bestimmt wird. Die Städte – vor allem in laizistischen Ländern – erlauben diesen Tötungsvollzug entweder gar nicht oder machen strenge Auflagen.
Schafställe in der Stadt und Behelfsschlachthöfe
In muslimischen Städten, besonders im Maghreb und in Westafrika, werden ein paar Wochen vor dem Fest „Marktgelände“ aufgebaut. Diese Viehmärkte werden mit Schafen beliefert, die alle einer hygienischen Kontrolle unterliegen. In seiner traditionellen Rolle als Familienoberhaupt sucht der Vater das zu opfernde Tier auf dem Markt aus: Bevorzugt werden schöne Tiere mit grossen Hörnern und hohem Gewicht. Wenn das Schaf einmal gekauft ist, erweist sich seine Pflege bis zum Tag der Tötung jedoch als nicht unproblematisch: Die Häuser werden zu städtischen Schafställen (Brisebarre, o. J.) umfunktioniert. Wenn das Schaf mit im Haus wohnt, erschwert das auch die rituelle Schlachtung. Oft wird hierfür deshalb ein vorschriftsmässig gereinigter Platz im Hof vor dem Haus ausgewählt.
Die Schwierigkeit, die Tradition in der Stadt aufrechtzuerhalten, hat auch den Wissenstransfer über den „perfekten Halsschnitt” innerhalb der Familie verändert: Er verliert sich nach und nach. Deshalb nehmen professionelle Opfermetzger gegen eine Spende dem Familienvater diese Aufgabe ab.
In den EU-Ländern betrachtet die Gesetzgebung die rituelle Schlachtung des Opfer-Schafs als normalen Schlachtvorgang. Als solches muss er erstens in einem Schlachthaus und zweitens von einem Fachmann - und nicht vom Familienoberhaupt - ausgeführt werden. In Frankreich, wo die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in Städten lebt, verleiteten diese Beschränkungen zu heimlichen Praktiken des Opferfestes. Der Mangel an verfügbaren Schlachthäusern hat das Phänomen in den Ballungsräumen noch verstärkt. Die jüngere Generation der Muslime versucht, dieses Problem zu lösen, und hat die Einrichtung temporärer, reglementierter Schlachtstandorte erreicht.
“e-Opfer” – Lösungen zwischenTradition und Moderne
Das Internet hat ganz neue Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich der rituellen Schlachtung eröffnet. Bereits seit 2006 bietet eine marokkanische Webseite online Opfertiere nach den muslimischen Regeln zum Verkauf an und sichert die garantierte Lieferung am Opferfesttag zu. Für Städter entfällt damit das Problem der Unterbringung des Tieres. Sie müssen lediglich einen geeigneten Schlachtort finden. In Pakistan bieten mittlerweile Wohlfahrtseinrichtungen wie Alamgir Welfare Trust so genannte “e-Opfer “ an. Man kann ein Schaf kaufen oder seine Schirmherrschaft übernehmen und via Internet die Opferung live, „unabhänging vom Land, in dem man lebt“, miterleben. Später kann das Fleisch abgeholt und/oder an Bedürftige verteilt werden.
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