Smog über Peking
Wie kleine UFOs sind die Aquaponics auf den Hausdächern Pekings parkiert. In den Halbkugeln wachsen Fische und Gemüse, die durch einen geschlossenen Wasserkreislauf verbunden sind.
Peking, 14. September, im Hutong nahe der Beixinqiao-Metrostation, 167 μg/m3. Auch wenn in der Schweiz bei solchen Werten die Autobahnen gesperrt werden würden – das ist gute Luft für Peking. Hier erlebt man im Winter öfter Feinstaubbelastungen bis 400 μg/m3. Chinas Aufstieg ist ein Glücksfall. Aber er kam mit Kosten.
Michael Eddy und ich klettern auf das Dach des einstöckigen alten Backsteingebäudes. Dort steht sein Aquaponic. Ein Tank, darauf Grünzeug. Geborgen unter der Halbkugel eines aus dreieckigen Verstrebungen errichteten, geodäsischen Doms. Das hat sich der kanadische Künstler nach ein paar Jahren China gegönnt.
Als ich es in Schanghai das erste Mal hörte, dachte ich, es sei ein Gerücht, dass mittlerweile in immer mehr Hochhaus-Appartements Chinas diese Wassertanks blubberten, mit denen Privatleute saubere Lebensmittel wie Salate und Fische züchteten. Es gebe keine Zahlen zum Phänomen, aber Aquaponics seien eher etwas für eine kleinere Klientel mit ausreichend Zeit und Geld, meinte später der junge deutsche Kai Kottenstede, der seit Jahren Chinas Lebensmittelkrise erforscht.
In Peking war ich dann unverhofft ans Ziel meiner Suche gekommen.
Auf Eddys Aquaponic wächst vor allem Pfefferminze, dann etwas Spinat und Tomaten. Im badewannengrossen Tank darunter tummeln sich ein paar mittelgrosse Karpfen.
«Es ist ein Kreislauf», sagt Eddy. «Wir müssen nur die Fische füttern. Ihre Ausscheidungen nähren den Salat. Und der wiederum säubert das Wasser.» Allerdings habe man den Kreislauf erst einmal mühsam in Gang bringen und austarieren müssen.Geerntet wird vor allem Minze. Spinat und Tomaten würden nicht so gut wachsen, meint Eddy. Zwei der Fische habe man bereits verzehrt.
Viel ist das nicht, gemessen daran, dass eine fast zehnköpfige Gruppe aus Architekten, Künstlern und Papiertigern während mehrerer Monate unter den skeptischen Blicken der Nachbarn im Hutong an der Installation des Aquaponics herumgetüftelt hatten.
«Eigentlich wäre China das richtige Land für solche Lösungen. Es gibt eine ganze Menge gute Gründe dafür, wie zum Beispiel die Wasserersparnis im Vergleich zum Anpflanzen in der Erde. Zudem ist das Ganze ziemlich raumsparend für eine Farm.» Er reibt sich im Genick. «Für uns war es im Kern ein Experiment. Es begann 2013. Wir gingen daran, gemeinsam Themen wie Balance verstehen zu lernen.»
Für Kai Kottenstede reflektiert sich in der kleinen Bewegung mit den Wassertanks Grösseres: «Aquaponics sind nichts anderes als die totale Kontrolle über die Produktionskette durch den Verbraucher. Unternehmen, die in China mit der Lebensmittelsicherheit ernst machen, gehen exakt den gleichen Weg. Sie integrieren alle Produktionsschritte, vom Bauernhof bis zur Auslieferung.»
Komplette Autarkie ist der konsequente letzte Schritt. Der individuelle Exit aus einem Nahrungsmittelsystem, das seinen Teilnehmern wenig Gesundes zu bieten hat.
Eddys japanische Frau Emi Uemura hält das Baby. Bald wollen die beiden wegziehen, hinüber nach Kanada. Wo man sich wieder um die Arbeit kümmern kann, statt ständig ums Essen. Mit dem Kind hält sich Uemura nur an guten Tagen draussen auf. Sonst ist sie zuhause. In Peking hat jeder, der es sich leisten kann, nicht nur Wasserfilter, sondern auch Luftfilter im Appartement. Und dann vielleicht noch einen Aquaponic.