Reiche geben weniger für Essen aus
Ein zuhause zubereitetes Gericht kostet in Mali 17 Cent, in den USA dagegen 5,50 Dollar, allerdings muss der Malier fast die Hälfte seines Einkommens für seine Ernährung aufwenden, der US-Amerikaner dagegen nur 6,6 Prozent. Dafür enthält das Essen des Afrikaners mehr Ballaststoffe und komplexe Kohlenhydrate und weniger Fettanteile als das des Amerikaners.
Der Reiche isst viel und ist daher rundlich, der Arme isst wenig und ist daher klapperdürr. Entspricht diese Aussage noch der Realität? Die ökonomische Entwicklung nach westlichem Muster hat sich in den letzten einhundert Jahren rasant beschleunigt. Mittlerweile erstreckt sie sich, in unterschiedlicher Ausprägung, über den gesamten Globus. Dabei sind allerdings einige Interpretationsmuster auf der Strecke geblieben. Wer früher ein reicher Pinkel mit dickem Bauch war, hat heute im Westen geradezu die Pflicht, sich schlank zu halten – nicht so in Afrika oder im Orient. Und gewiss sind die Armen nach wie vor unterernährt und darum dünn, sie können aber infolge anhaltend schlechter Ernährung durchaus auch übergewichtig sein. In den reichen Ländern trifft man auf unzählige Übergewichtige, genauso wie in einigen armen Ländern. Man kommt also um die Feststellung nicht herum, dass jahrhundertelang tradierte Ernährungsgewohnheiten – regionale wie nationale – nach und nach im Mustopf der Globalisierung verschwinden.
Wer isst was, und was muss er dafür bezahlen?
Zur genaueren Einschätzung der Parameter, die überall auf der Welt das alltägliche Ernährungsverhalten bestimmen, sei auf die bis dato vorliegenden Ergebnisse einer seit 2006 laufenden Erhebung der Nestlé-Firmengruppe verwiesen, mit der in 55 Ländern(1) ermittelt werden soll, was sich in der Küche tut.
Kostenaufwand pro Mahlzeit
In Deutschland ist ein Gericht dreissig Mal teurer als in Mali ($ 5,47 im Vergleich zu $ 0,17), von ihm ernähren sich nur halb so viele Personen (2.70 im Vergleich zu 5.5) und seine Zubereitung dauert nur halb so lange (48 Minuten im Vergleich zu 82 Minuten). Die Schwellenländer geben für ein Gericht annähernd so viel aus wie die Entwicklungsländer (die fortgeschrittenen eingeschlossen): $ 0,81 im Vergleich zu $ 1,18), allerdings werden mehr Personen davon ernährt (4.5 im Vergleich zu 3.9). Auch braucht es weniger Zeit zur Zubereitung (43 Minuten im Vergleich zu 54 Minuten).
Kleine Einkommen, hohe Ausgaben für Lebensmittel
Vom US-Landwirtschaftsministerium(2) wird dieser Aufwand dadurch gewichtet, dass er auf ein Durchschnittseinkommen bezogen wird. Das Ministerium erfasst auf diese Weise jedes Jahr die Lebensmittelausgaben aller Länder der Welt. Es zeigt sich, dass die entwickelten Länder zwar weitaus mehr für ihre Ernährung ausgeben als die restlichen Länder, aber damit gleichwohl ihren Haushalt nur in geringem Umfang belasten. Die US-Amerikaner verwenden lediglich 6,6 Prozent ihres Gesamteinkommens auf ihre Ernährung, im Vergleich dazu sind es 11 bis 14 Prozent bei den Europäern. Die Ausgaben für Miete, Versicherungen, Steuern, Freizeit, Kommunikation und Nahverkehr sind faktisch genauso hoch, wenn nicht erheblich höher. Demgegenüber wenden die Bezieher geringer Einkommen in den Entwicklungsländern beziehungsweise den unterentwickelten Ländern beträchtlich höhere Summen für ihr Essen auf: Ein Inder zum Beispiel verbraucht dafür 25 Prozent seines Einkommens, ein Russe 32 Prozent und ein Kameruner 46 Prozent.
Frauen am Arbeitsplatz, weg vom Herd
In aller Regel ist die Entwicklung der Wirtschaft eng verknüpft mit der Emanzipation der Frau und ihrer Präsenz am Arbeitsmarkt. Was hat das für Konsequenzen? Hatten lange Zeit Fertiggerichte in der Küche dominiert, weil sie die Essenszubereitung erheblich verkürzten, so kehren in den entwickelten Ländern neuerdings frische Produkte auf den Esstisch zurück, weil sie als gesünder gelten. Das wiederum hat die Männer dazu gebracht, sich stärker um die Küche zu kümmern (wenn auch Fortschritte in dieser Richtung recht zögerlich sind).
Die Bedeutung des Geldes für das Essen
Es ist nicht verwunderlich, dass die Verbraucher in den ärmsten Ländern ihren Hunger ebenfalls mit Lebensmitteln guter Qualität befriedigen wollen. Entsprechend dem Wirtschaftswachstum nimmt auch das Bedürfnis nach einer regelmässigen Versorgung mit qualitativ guten und geschmackvollen Nahrungsmitteln zu. Je wohlhabender man ist, desto mehr schätzt man die Abwechslung, das Essen als Freizeitvergnügen und in Gesellschaft. Die Ernährung wird zu einem Mittel, das eigene physische und/oder psychische Wohlbefinden zu steigern.
Mangelernährung auf der einen, chronische Krankheiten auf der anderen Seite
Die ökonomische Entwicklung hatte eine sehr unmittelbare Auswirkung: Die herkömmliche Ernährung auf Grundlage von frischen Lebensmitteln mit reichlich Komplexkohlehydraten (die in Getreide und Kartoffeln enthalten sind) sowie Ballaststoffen wurde abgelöst von einer Ernährung mit höheren Zucker- und Fettanteilen, die aus Industrieprodukten besteht. Zwar geht die Rate der Sterblichkeit durch Mangelernährung oder Infektionskrankheiten zurück, allerdings treten jetzt vermehrt chronische Krankheiten wie etwa Diabetes auf. Dies erklärt sich durch die veränderten Lebensgewohnheiten und die höhere Lebenserwartung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Wandel der Ernährungsgewohnheiten in den Entwicklungsländern durch Aufklärungsmassnahmen über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Ernährung zu flankieren.
Ein Österreicher nimmt täglich 3.800 Kalorien zu sich
Diesen Wandel hat die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) im Jahre 2012 folgendermassen gekennzeichnet: Weltweit ist seit 1960 die durchschnittliche Tagesration von 2.200 auf 2.800 Kalorien gestiegen, wobei die Extremwerte bei 3.800 in Österreich beziehungsweise 3.700 in den Vereinigten Staaten gegenüber 1.600 in Burundi und Eritrea liegen. Menschen in Haiti, auf Timor, in Nord-Korea, Bolivien oder im Jemen sind kaum besser versorgt: Sie müssen pro Tag mit allenfalls 2.000 Kalorien auskommen. In diesen Ländern lebt aber die grosse Mehrheit der ungefähr 800 Millionen Menschen, die im Jahr 2014 an Hunger leiden.
Ernährung und Wohlbefinden
Es überrascht nicht, dass die Ernährung in den armen Ländern in erster Linie dazu dient, dem Körper Energie zuzuführen. In den reichen Ländern dient das Essen hingegen vor allem der Steigerung des Wohlbefindens, das gleichermassen körperlich wie geistig definiert wird. Wer sein Essen gemeinsam mit anderen geniesst, bereitet sich nicht nur eine Freude, sondern achtet durch die Wahl der Lebensmittel auch auf seine Gesundheit und eine schlanke Linie. Die Kochsendungen im Fernsehen sind ein deutlicher Beleg für diese hedonistische Tendenz.
Koch-Shows in den eigenen vier Wänden und in den sozialen Netzen
Im breiten Spektrum an Kochsendungen im Fernsehen, die als Unterhaltung wahrgenommen werden, plaudern die Beteiligten über Küche und Kochen, und das aus unterschiedlichsten Gesichtspunkten: Ästhetik, Geschmack, Kreativität, Auswahl an Zutaten. Die Zuschauer werden dabei ermuntert, wieder Freude am Selberkochen zu entwickeln und Interesse für ihre Ernährung aufzubringen. In den entwickelten Ländern geht die wachsende Popularität dieser Sendungen allerdings einher mit einem Rückgang der Restaurantbesuche, denn es wird wieder mehr zu Hause gekocht. Über die sozialen Netze und in Blogs werden kulinarische Erfahrungen und Rezepte in Hülle und Fülle ausgetauscht. Nie zuvor hat man in Ländern, in denen man seit vielen vielen Jahren den Hunger nicht mehr kennt, so ausdauernd über Essen und Ernährung gesprochen!