Essen auf der Strasse
Vor dem Industriezeitalter gab es nur kleine Imbisslokale mit regionalen Spezialitäten, die Essen auf der Strasse anboten. Erst mit dem 19. Jh. kam in der westlichen Welt eine echte Strassenküchen-Kultur auf. Sie entsprach dem Wunsch, sofort über ein begehrtes Lebensmittel zu verfügen, seine Zubereitung mit eigenen Augen zu sehen oder durch das Essen vor Ort urbane Lebensart zu geniessen. Die Strassenküche deckt gastronomisch den Bereich zwischen Restaurant und häuslicher Küche ab.
Vom Strassenverkäufer zum Imbisswagen - Die Strassenküche im Wechsel der Zeiten
Die Strassenküche unterscheidet sich von anderen Formen des ‚Essens im Freien‘ wie etwa dem Picknick oder der ‚Küche auf Jahrmärkten‘ durch ihren städtischen Charakter.
In der Antike waren vor allem Menschen der ärmeren Schichten Kunden der mobilen Restaurants, da nur wenige Wohnungen eine eigene Küche besassen. Archäologische Grabungen brachten ans Licht, dass die Bewohner von London in der Römerzeit Austern liebten – zumindest der beträchtlichen Menge an Muschelschalen nach, die an einer der grossen Geschäftsstrassen der Stadt gefunden wurde.
Vom Mittelalter bis ins Industriezeitalter bot die Strassenküche nur kleine Snacks für den Notfall an. Fehlende Gehsteige und Abwasserkanäle sowie der dichte Verkehr waren für das Essen im Freien problematisch. Paris war für seine Strassenhändler bekannt, die ihre Produkte lauthals anpriesen: Oblaten (rundes Gebäck), Waffeln, kleine Pasteten, Milchkaffee, Früchtetee oder Schnaps. In London trugen die fliegenden Händler zur Zeit der englischen Restauration ihr Geschäft auf dem Kopf, wodurch sie sich schnell zu Ansammlungen potenzieller Kunden begeben konnten.
Erst mit der industriellen Revolution entstand eine echte Strassenküche. Die grossen Städte entwickelten sich und wurden sauberer, die Arbeiterschaft nahm zu. Die Bevölkerung des viktorianischen London verdreifachte sich innerhalb von nur siebzig Jahren; die Quellen sprechen von 6000 Strassenverkäufern, die damals komplette warme Mahlzeiten anboten: Erbsensuppe, Aale und gegrillte Fische, Wellhornschnecken in Essig und Pasteten.
Während die Strassenküche in Frankreich nur allmählich Fuss fasste, entstand in New York mit den Einwanderern des 19. Jhs. eine kosmopolitische Kultur der Strassenküche, das Street Food. Ab 1870 verkaufte der Deutsche Charles Feltman auf Coney Island die ersten Hotdogs, die - in den berühmten pushcarts (Handkarren) transportiert - zum Symbol der New Yorker Strassenküche wurden. Ab 1950 bereicherten zunächst italienische, dann griechische Einwanderer den Strassenverkauf im Big Apple mit den kulinarischen Spezialitäten ihrer Heimatländer. Im selben Jahrzehnt tauchten die ersten fahrenden Eisverkäufer in ihren speziellen Kleinlastern (ice cream vans) auf, den Vorläufern der heutigen Imbisswagen (food trucks). Seit den 1990er Jahren hat sich das Angebot in den angelsächsischen Ländern vervielfacht und erweitert. Es spiegelt die ethnische Vielfalt und den Wunsch der Menschen wider, nach der in den 1980er Jahren angesagten Haute Cuisine neue und günstigere kulinarische Horizonte zu erkunden. Seither nutzen exotische Restaurants in unseren Breitengraden frische und regionale Produkte als Zutaten für Rezepte, die ihre landestypische und ethnische Küche neu interpretieren.
Auch wenn die Strassenküche oft mit Fastfood (Pommes Frites und einseitiger Ernährung) gleichgesetzt wird, erhält sie dennoch Preise und Auszeichnungen. Die seit 2010 in Grossbritannien vergebenen Street Food Awards zeichnen raffinierte Gerichte aus, die man aus der Hand isst.
Essen zum Mitnehmen: Die Strasse als Ort kulinarischer Begegnungen
Die Strassenküche (Street Food) setzt im Gegensatz zur globalisierten Uniformität der Fastfood-Ketten auf regionale Spezialitäten. Sie erfüllt damit verschiedene Wünsche des Verbrauchers: er kann sofort über das begehrte Lebensmittel verfügen, dessen Zubereitung mit eigenen Augen sehen und durch das Verzehren vor Ort urbane Lebensart geniessen. Die Strassenküche deckt gastronomisch einen Bereich zwischen Restaurant und häuslicher Küche ab. Der Verzehr erfordert oft Gesten jenseits guter Tischmanieren und bietet ein besonderes Sinneserlebnis: Man berührt die Speisen und isst sie mit den Fingern. Das ‚Essen wie die Nomaden‘ ist mit einer ‚nomadischen Küche‘ verbunden, bei der zu Küchen umgebaute Fahrzeuge durch die Verkehrsadern der Städte streifen und von Zeit zu Zeit anhalten, um Passanten mit Essen zu versorgen.
BOUISSON, Michel et MEADOWS, Fiona (dir.), 2013. Voyage au coeur de la cuisine de rue. Paris : Gallimard, 2013. 978-286227-807-0.
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