Stillen in Bildern dargestellt
Ein Säugling an der Brust: Je nach persönlicher Neigung und Empfindsamkeit kann dieses Motiv charmant oder störend wirken. Wie haben sich Künstler unterschiedlicher Epochen dieses Themas angenommen?
In zahlreichen Schöpfungsmythen – von afrikanischen Märchen über die griechische Mythologie zu indischen Erzählungen – gilt Milch als einer der Ursprungssäfte – als Substanz, die Welten erschafft und Leben spendet. So soll die Milch der Göttinnen (galakthos) die unzähligen Sterne im Feld des Kosmos gesät haben und die Milchstrasse aus einem Strahl hervorgegangen sein, der aus der Brust der Göttermutter Hera in den Himmel schoss(1). Die lebensspendende Natur des Stillens ist so offensichtlich, dass die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung und dem mütterlichen Vermächtnis auf der Hand liegt. Ein kurzer Gang durch die Kunstgeschichte zeigt jedoch, dass das Motiv mit einer vielfältigen Symbolik belegt ist, die häufig fremd, zuweilen auch beunruhigend wirkt und mit einem Nimbus der Erotik umgeben ist. Werden einige Meilensteine uns mehr Klarheit verschaffen?
Das ikonografische Motiv der «Stillenden Jungfrau» wurde uns aus dem alten Ägypten überliefert(2): Dies zeigen die unzähligen Darstellungen der Isis, die den Horusknaben stillt. Das Motiv war in der Antike so beliebt, dass die Museen heute voll von diesen Statuetten sind(3). Die Isis zählt zu den ältesten Darstellungen des Motivs der stillenden Mutter. Mehrere Tausend dieser Statuetten wurden gefunden, da Isis im 1. Jahrtausend v. Chr. Gegenstand eines bedeutenden Kults war. Zur gleichen Zeit begannen die Ägypter, Bronzestatuetten ihrer Götter anzufertigen und sie bei Pilgerreisen zu ihren heiligen Stätten als Opfergaben darzubieten. Die Göttin stand damals im Mittelpunkt einer religiösen Verehrung, die den ganzen Mittelmeerraum erfasste(4). Als Gattin und Schwester des Osiris soll Isis der Legende nach ihrem Sohn nach einem Schlangenbiss das Leben gerettet haben, indem sie ihn mit dem göttlichen Nektar stillte. Die Statuetten veranschaulichen den der ägyptischen Kunst eigenen Schematismus: Die Grösse der Figuren, die in zwei senkrechten Ebenen angeordnet sind, ist wenig realistisch. Mit der rechten Hand bietet Isis ihre Brust dar, mit der Linken hält sie den Kopf des Kindes, das sich angesichts der dargebotenen Brust eher zu versteifen oder zurückzuweichen scheint, als sich ihr gierig zuzuwenden. Die ritualisierte, feierliche Haltung unterscheidet sich nur sehr wenig von einer Gruppe zur anderen, doch sie leitet eine ikonografische Tradition ein, die in den Muttergöttinnen und stillenden Jungfrauen bis in die galloromanische und schliesslich in die christliche Zeit ihre Fortsetzung findet.
Die Götter sind nichts anderes als die Verkörperung unserer eigenen Grenzen: So muss es uns nicht wundern, sie einen der beunruhigendsten Aspekte des Stillens in Szene setzen zu sehen – die menschliche Tiernatur. Zeus wird in Kreta von der Ziege Amaltheia gesäugt, und Telephos trinkt aus dem Euter einer Hirschkuh. Romulus und Remus, die von der Wölfin genährt werden, sind das mythologische Pendant eines in verschiedenen Epochen – bei den Ägyptern ebenso wie bei den Skythen(5) – nachgewiesenen Brauchs. Die Suche nach Ersatz für Muttermilch (Ziegen-, Kuh- oder Eselsmilch, verdünnt oder pur) ist somit von der Geschichte des Stillens nicht zu trennen und war oft durch wirtschaftliche Gründe, Zeitknappheit oder Mangel an Ammen motiviert. Diese begründet Praxis überdauerte die Jahrhunderte: 1816 veröffentlicht der deutsche Arzt Konrad Anton Zwierlein Die Ziege als beste und wohlfeilste Säugamme – ein Werk, dessen Titel wie ein Eingeständnis klingt: Der promovierte Mediziner und Philosoph Zwierlein unternimmt darin erhebliche Anstrengungen, um die Überlegenheit des Stillens mit Ziegenmilch nachzuweisen, angesichts der Zwänge denen die Säuglingsnahrung ausgesetzt ist(6). Es ist ein wenig so, als ob Zwierlein gute Miene zum bösen Spiel mache: Im Laufe der Jahrhunderte hatten der Rückgriff auf Ammen oder Kuhmilch zahlreiche Probleme verursacht, die zweifelsohne zu der bis mindestens ins 19. Jahrhundert bezeugten ausserordentlich hohen Säuglingssterblichkeit beitrugen. Dass die Ernährungsoptionen für Säuglinge um Ziegenmilch erweitert wurden, ist also eher eine gute Nachricht, auch wenn die Spezialisten aus Vorsicht nicht dazu raten, das Stillen durch die Mutter damit zu ersetzen. So erläutert der französische Arzt Auguste Boudard in seinem 1873 erschienenen Werk Physiologie de la chèvre-nourrice (Physiologie der Ziege als Ernährerin), dass es allein darum ginge, die schädigende Wirkung des häufig erzwungenen Abstillens zu mildern. In diesem Fall sei Ziegenmilch immerhin und in jeder Hinsicht die beste Alternative(7).
Obwohl das Stillen des Christuskindes in keinem der Evangelien erwähnt wird, kommt dieses Motiv zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert sehr häufig vor. Die Künstler liessen sich von den Apokryphen Schriften inspirieren und bedienten sich des Motivs zur Erbauung des Betrachters(8). Dennoch gibt die Symbolik der stillenden Jungfrau zuweilen Anlass zu seltsam weltlichen Gedanken. Davon zeugt der aussergewöhnliche rechte Flügel des Diptychons von Melun, in der Jean Fouquet eine strenge Skulpturalität mit leuchtenden Farben und vielleicht sogar ein wenig höfischer Erotik vereint. Das intensive Blau und Rot der Seraphim und Cherubim dient als Hintergrund für eine Darstellung der Jungfrau Maria, deren milchige Haut den Blick des Betrachters magnetisch anzieht. Mit dem Christuskind, dem sie ihre linke Brust darbietet, bildet sie eine Gruppe, die uns ebenso starr erscheint wie die antiken Darstellungen von Isis beim Stillen des Horusknaben. Doch das Modell von Fouquet ist nicht – oder nicht nur – eine Muttergöttin. Die auf diesem Flügel dargestellte Jungfrau Maria trägt zweifellos die Züge von Agnès Sorel, der Maitresse des französischen Königs Karl VII. und laut einigen Zeitgenossen schönsten Frau ihrer Zeit. In Auftrag gegeben wurde das Diptychon von Etienne Chevalier, dem Schatzmeister des Königs. Eine seltsame Art, die Menschwerdung Jesu durch Erotisierung der Brust seiner Mutter darzustellen…(9)
Als eines der fesselndsten ungelösten Rätsel der Kunstgeschichte gilt eine Stillszene inmitten eines Gewitters. Wir befinden uns hier in der Heimat der Farbe, im Venedig Tizians, und in der Zeit der philosophischen Raffinessen der Hochrenaissance, insbesondere der Denker des Neuplatonismus. Nur wenige Jahre später sollte das Konzil von Trient (1563) Darstellungen der stillenden Jungfrau ein vorläufiges Ende setzen. Das Sujet der Jungfrau mit entblösster Brust galt im Zuge der Verdammung allzu provokanter religiöser Bilder als unangebracht(10). Doch eigentlich spielte dies keine Rolle mehr: Schon vor diesem Niedergang hatte Giorgione gezeigt, dass Akte auch maskiert dargestellt werden konnten, unter anderem auch wenn sie religiöse Bedeutungen transportieren. Tatsächlich sorgt Das Gewitter unter Kunsthistorikern nunmehr bereits seit einem halben Jahrtausend für Verwirrung: Einige glauben darin die Ruhe auf der Flucht aus Ägypten zu erkennen, andere den aus dem Fluss geretteten Mose wieder andere eine Allegorie der Kraft (der Mann in venezianischer Tracht) und der Barmherzigkeit (die Frau) oder auch eine Darstellung der vier Elemente. Philippe Braunstein weist darauf hin, dass das Gemälde vielleicht Eva nach dem Sündenfall beim Stillen von Kain unter dem wachsamen Auge von Adam und Gott darstellt, dessen Zorn in dem Blitz Ausdruck findet. Diese Deutung ist bestechend und die formale Verwandtschaft mit dem Flachrelief von Giovanni Antonio Amadeo (Colleoni-Kapelle, Bergamo, 1473) sehr überzeugend(11). Allerdings wird die Frage, warum Giorgione das Stillen so sehr hervorhebt, nicht vollkommen beantwortet. Alles konzentriert sich nur darauf: Die männliche Figur betrachtet offen die Szene mit dem an die Brust gelegten Säugling. Während Mutter und Kind bei Amadeo einander im Zwiegespräch innig zugewandt sind, saugt der vermeintliche Brudermörder bei Giorgione an der Brust und der Blick der Stillenden ist auf den Betrachter gerichtet. Auch auf die starke Emotionalität eines fast unmerklichen Details sei hingewiesen: Der Säugling ergreift mit der rechten Hand den linken Zeigefinger der Frau. Würden dieselben Elemente nicht eher für eine biografische Deutung sprechen? Spielt Giorgione vielleicht auf seine eigene Kindheit oder auf seine Liebe zu Laura an, einer venezianischen Kurtisane? Das Rätsel bleibt ungelöst.
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts werden vermehrt ikonografische Abhandlungen, Symbolverzeichnisse sowie Werke mit Allegorien und Personifizierungen für künstlerische Zwecke veröffentlicht. Schon Cesare Ripa und seine Nacheiferer lieferten einige Darstellungen von Akten und Stillszenen (vgl. Kasten). Ein Sujet kam jedoch erst im 17. und 18. Jahrhundert zunehmend in Mode: die Caritas Romana. Mit ihrer Ausgestaltung des Motivs der Barmherzigkeit als theologische Tugend(11) nach «antiker Art» verherrlicht die aus den Schriften von Plinius dem Älteren entnommene Episode auf gewisse Weise die Kindesliebe: Der römische Greis Cimon wird zum Hungertod im Kerker verurteilt und verdankt sein Überleben den täglichen Besuchen seiner Tochter Pera, die ihm die Brust gibt(12). Abweichend von der Tradition, in der Pera häufig einen besorgten Blick in Richtung hypothetisch nahender Gefängniswärter ausserhalb des Bildes wirft(14), zeigt die Darstellung von Bachelier die Haltung einer Mutter, die sich voller Fürsorge über ihren Säugling neigt. Ist es diese Zweideutigkeit, die den französischen Schriftsteller Denis Diderot im Geheimen entsetzt, obwohl er das Gegenteil vorgibt? Immerhin lässt er keine Gelegenheit aus, das Gemälde scharf zu kritisieren(15). Das Stillen wird als Hingabe und lebensspendendes Geschenk dargestellt, das selbst den Lauf der Generationen umkehren kann. Doch trotz der sich daraus ergebenden symbolischen Stärke dieses Motivs findet es vor Diderots Augen keine Gnade.
Reine Männersicht?
Am Ende dieser kurzen Reise durch die Kunstgeschichte lässt sich feststellen, dass die Darstellung des Stillens im Laufe der Zeit eine zunehmende Zahl an Symbolen und Mysterien in sich vereint. Von den ägyptischen Ursprüngen bis hin zu den Andeutungen im Vokabular der ikonografischen Lehrbücher, vom Motiv der säugenden Tiernatur bis zu jenem der stillenden Jungfrau scheint es vor allem, als zeichne sich hier die Geschichte einer Faszination, ja sogar einer beunruhigenden Fremdheit ab. Der Stillvorgang verweist ganz sicher auf das unmittelbare Überleben und spielt in einigen mythologischen Erzählungen sogar eine Rolle bei der Schöpfung des Universums. Doch insgesamt veranschaulicht es unsere Tiernatur, die fleischliche, prosaische Verbindung, die die Mutter als Ernährerin mit ihren Jungen verbindet, den erotisierten Körper der Frau... Müssen wir hier wie im Genre des Stilllebens(16) den Effekt des männlichen Blicks auf eine per definitionem weibliche Praxis sehen – den Effekt einer Lupe oder eines Zerrspiegels? Wie dem auch sei: Unabhängig von der Tatsache, dass das Stillen offensichtlich mit dem Fortbestand der Spezies verbunden ist, stellt es sich unter dem Werkzeug oder Pinsel des Künstlers als schönes, faszinierendes Rätsel dar, ein Mysterium, das vielleicht sogar unsere Vorliebe für das Kino begründet...