Forscher entwickeln die perfekte Form
Wissenschaftler haben es genau untersucht: Nur wenn die Form stimmt, kann sich der Geschmack der Schokolade perfekt entfalten.
Was passiert, wenn ein Maschinenbauingenieur Schokolade mag? Natürlich überlegt er sich, welche Form eine ideale Schokoladentafel haben muss, damit sie möglichst perfekt auf der Zunge zergehen kann. Rund 300 Wissenschaftler wie Christoph Hartmann arbeiten in einem der vier Nestlé Research Center. Der Automobildesigner Christoph Hartmann weiss: Es lohnt sich, Schokoladenliebhabern in den Mund zu schauen, um die ideale Form einer Schokoladentafel zu entwickeln.
Schokolade probieren, um sie zu studieren
Als Ingenieurswissenschaftler am Nestlé Research Center denke ich hauptberuflich über Schokolade nach: Welche Form muss etwa eine ideale Schokoladentafel haben, damit sie ihren Geschmack optimal entfalten kann? Einem durchschnittlichen Schokoladenliebhaber mag diese Frage überflüssig erscheinen. Schokoladenliebhaber aber, die sich eingehender damit beschäftigen, werden feststellen, dass es tatsächlich grosse Unterschiede gibt.
Die Rechteckform, die Dicke der Tafel und die einzelnen Stücke sind auf eine leichte Giessbarkeit der Schokoladenmasse und ein leichtes Herauslösen der erstarrten Schokolade hin optimiert. Die einzelnen Stücke der Schokoladentafel lassen sich durch die Kerben zwar gut brechen, in den Mund aber passt ein solch effizient geformtes Stück Schokolade nicht wirklich gut. Ausserdem beeinflusst die Form eines Lebensmittels die Arbeit unserer Sinnesorgane massgeblich.
Wie zergeht Schokolade auf der Zunge?
Um die perfekte Form herauszufinden, schaute ich also zuerst einmal in den Mund des Menschen: Ich beschaffte mir Gipsabdrücke des menschlichen Gaumens und erstellte geometrische Daten, die mir millimetergenaue Angaben über die Form des Gaumens lieferten. Mit Hilfe einer Expertin für Computersimulation berechnete ich die Wärmeübertragungsvorgänge zwischen Mundraum und Schokolade.
Damit konnte ich schon mal die Kriterien für das Design der perfekten Form erstellen. Später holte ich die Expertise eines Chocolatiers in mein Team sowie Wissenschaftler, die sich mit Sensorik und mit Aromastoffen befassen. Wir wollten der Schokoladentafel nicht nur eine schönere Form geben, sondern wir wollten eine Form finden, die den Geschmack der Schokolade möglichst perfekt entfaltet – ohne Rezeptur oder Zutaten zu verändern.
Süss, süsser, am süssesten
Eine erste Serie von Prototypen folgte bald: Die prototypischen Formen hatten alle das gleiche Gewicht, jedoch eine individuelle, meist geschwungene Form. Wir liessen speziell trainierte Schokoladentester unsere Prototypen probieren. Sie kommentierten anhand eines ausführlichen Testprotokolls die Intensität der sensorischen Eigenheiten, also Textur, Aroma und Geschmack, der Schokolade. Diese Daten werteten wir dann statistisch aus, um Unterschiede zwischen den Prototypen herauszufinden.
Das Ergebnis bestätigte unsere Hypothese: Unabhängig von den Zutaten und der Rezeptur beeinflusst die Form der Schokolade die sensorische Wahrnehmung. Und es macht tatsächlich einen Unterschied, ob man ein klobiges oder leicht geschwungenes Stück Schokolade auf der Zunge zergehen lässt: Je nach Form schmilzt die Schokolade langsamer oder schneller, schmeckt die Schokolade süsser oder bitterer.
Wir wollten auch die physikochemischen Vorgänge beim Schmelzen der Schokolade im Mund besser verstehen. Mit einer speziellen Technologie konnten wir messen, wie sich die Aromen entfalten, während ein Stück Schokolade im Mundraum schmilzt. Dazu setzten wir den Testpersonen Masken mit Röhrchen auf, die den Dampf in den Nasenhöhlen analysierten, der beim Schmelzen der Schokolade freigesetzt wurde. Unsere instrumentellen Analysen zeigten, dass einige Prototypen mehr Aroma freisetzten als andere.
Das Geheimnis der Oberfläche
Als wir die perfekte Form gefunden hatten, entwarfen wir eine industriell herstellbare Schokoladenform. Daraus entstand die nun im Handel erhältliche Tafel. Noch immer ist sie rechteckig, doch die Oberfläche der einzelnen Schokoladenstücke gleicht jeweils einer sanft geschwungenen Welle.
Nun ist Schokolade nicht gleich Schokolade: Rezeptur, Aromastoffe und sensorische Eigenschaften von Zartbitter- bzw. Milchschokolade unterscheiden sich stark voneinander. So haben wir parallel zur Zartbitter-Version in ganz ähnlicher Vorgehensweise auch eine Form für Milchschokolade entwickelt, die sich in ihren Eigenschaften von der Zartbitter unterscheidet.
Ob unsere Überlegungen auch die Konsumenten überzeugten? Zumindest die Konsumententests gaben uns recht. Mein Geheimtipp: Am besten schmeckt die Schokolade mit der Welle, wenn man die gewölbte Seite nach oben auf die Zunge legt und den schmalen Teil der Schokolade in Richtung Zungenspitze.
Christoph Hartmann leitete am Nestlé Research Center in Lausanne ein Team mit zwölf Wissenschaftlern. Das ganze Projekt bis zur Marktreife nahm 24 Monate in Anspruch.