Opferdeutungen im Christentum
Tieropfer waren in der Antike ein normaler Vorgang. Das Opfer Jesu durchbrach diese Praxis und ersetzte die bekannten Ausdeutungen. In der christlichen Eucharistie wird dieses Opfer nachvollzogen, wenn auch seine Interpretation uneinheitlich ist. Was besagt die Symbolik von Brot und Wein? Katholiken und Protestanten beantworten diese Frage unterschiedlich.
Opferformen der Antike
Opfer und Göttergaben von Tieren finden sich in zahlreichen Religionen. Beim Fleischverzehr stellte sich die Frage nach dem Töten des Tiers. Sollte eine Schlachtung kein alltäglicher Vorgang sein, musste das Tier geopfert werden.
Die Griechen konnten ein Tier nur essen, wenn es zuvor den Göttern geopfert worden war. Fleisch galt als ein aussergewöhnliches Gericht; es musste mit den Göttern geteilt werden, ehe man sie mit seinen Gästen gemeinsam verspeisen konnte. Ein Teil – manchmal nur ein kleines (beispielsweise einige Haare) - des Tiers wurde den Göttern geschenkt. Die Römer setzten diese Gepflogenheit fort, auch wenn der Verzehr von Fleisch in den ersten Jahrhunderten n.u.Z. zunahm. Der Opferbrauch fand sich auch bei den Israeliten, für die Blut das wichtigste Lebenssymbol darstellte, das als Gottesgabe auf dem Altar vergossen werden musste. Zudem war und ist es ihnen untersagt, Blut zu essen.
Eine neue Form des Opfers
Während des Letzten Abendmahls gab sich Jesus selbst als Opfer hin. Mit der Verbreitung des Christentums löste dieses sublimierte Opfer die antiken Tieropfer allmählich ab. Die ersten Christen im römischen Reich weigerten sich, den heidnischen Göttern Tiere zu opfern und verzehrten kein Fleisch geopferter Tiere. Sie erkannten nur das Opfer Christi an und bezeugten so ihre Zugehörigkeit zur neuen Religion. Dieses Verhalten war für die kaiserlichen Behörden inakzeptabel: Sie verfolgten alle, die sich weigerten, den Göttern zu opfern. Doch die Christen widersetzten sich; als das Christentum im 4. Jh. n.u.Z. Staatsreligion wurde, kamen Tieropfer endgültig an ihr Ende. Seither erinnern sich die Christen immer wieder neu an das göttliche Opfer, das im Brotbrechen symbolisiert und Kommunion, Abendmahl oder Eucharistie genannt wird.
Ein Opfer als Ursprung eines Mysteriums
Als Jesus erklärte: „Ich bin das lebendige Brot, ... Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit“, waren seine Zuhörer schockiert: „Wie kann dieser Mann uns sein Fleisch zu essen geben?“ und „Dies ist eine harte Rede! Wer kann sie hören?“ (Johannes 6; 51,60). Tatsächlich sind die von Jesus gebrauchten Worte aufwühlend: Sollte es sich um Kannibalismus oder Theophagie (von Theos ‚Gott‘ und phagein ‚essen‘) handeln? Über die Frage der Realpräsenz Christi in der Eucharistie haben Theologen lange gestritten. Welcher Natur sind nach der Wandlung (Weihe) Brot und Wein, die von den Gläubigen bei der Kommunion aufgenommen werden? Katholiken glauben hier an das Wunder der Transsubstantiation: Brot und Wein ändern ihre Substanz, sie werden wahrhaftig zu Leib und Blut Jesu. Deshalb verlangten sie auch lange Zeit, die Hostie (von lateinisch hostia ‚Opfer‘) nur mit nüchternem Magen zu empfangen. Protestanten sehen jedoch Christus in Brot und Wein nicht real, sondern nur symbolisch präsent.
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