Schokolade als Aphrodisiakum
Der Schokolade kommt unter vielen Vorzügen auch aphrodisische Wirkung zu. Von Moctezuma über die Mätressen Ludwigs XIV. bis zu notorischen Freigeistern: Alle schätzten das exotische Getränk. Im 19. Jh. überflügelte die Essschokolade das Getränk als Objekt von Begierde und Genuss und erfand sich später als Symbol der Verliebten zum Valentinstag neu.
Die Anfänge des Mythos
Der Aztekenkaiser Moctezuma (1466-1520) nahm mit Vorliebe Schokolade als Aphrodisiakum ein, wenn er sich zu seinen Partnerinnen begab. Gewürze wie Vanille oder Chili, die die Azteken dem Getränk zumischten, verstärkten die stimulierende Wirkung. Ein bitteres Gebräu, wenig appetitlich scheinend, doch hoch geschätzt vom Machthaber, der sexuell leistungsfähig sein musste: so überzeugte Schokolade auch die Konquistadoren.
Nach der spanischen Eroberung Mexikos trug die Schokolade ihren Mythos über den Atlantik nach Europa, wo er sich rasch verbreitete. Ob in Spanien, Italien, Frankreich oder Österreich: sie verführte die Eliten und half ihnen beim Verführen. In England eröffneten Chocolate Houses, in deren Räumen Schokolade getrunken und Komplotte geschmiedet wurden – Orte des sozialen Aufstiegs und der leichten Sitten, fröhlicher Stimmung und zweifelhaften Erfolgs. Karl II. von England (1630-1685) argwöhnte, dass Schokolade – wie auch Kaffee, Tee und Scharbat – Unruhen verursache, und versuchte, diese Zentren der Geselligkeit zu verbieten, ohne sein Ziel zu erreichen.
Die Haltung der Kirche
Die Kirchenvertreter waren im Urteil über Trinkschokolade wegen dieser wollüstigen Verquickung uneinig. Die einen billigten sie, andere verdammten die sündhaften Wirkungen des beliebten Getränks. Im Jahr 1624 behauptete der deutsche Theologe Franciscus Rausch, dass Schokolade ‚leidenschaftliche Glut‘ und ‚Skandale‘ in den Klöstern entfache. Deshalb sei ihr Genuss mit einem Leben in sexueller Enthaltung unvereinbar.
Ein Schuss sittliche Freizügigkeit
Die Absichten der adeligen Damen gingen jedoch in entgegengesetzte Richtung. Madame de Pompadour, die Ludwig XV. enttäuscht hatte, trank bernsteinfarbene Schokolade, um ihr Blut in Wallung zu bringen und ihrem Geliebten nicht mehr kühl zu erscheinen. Madame du Barry wiederum bot sie ihren Liebhabern vor gemeinsamen Nächten an. Casanova und der Marquis de Sade, Persönlichkeiten mit notorisch sexuellem Appetit, tranken Schokolade zur Stimulation mit Freuden. Der französische Arzt Guillaume-René Lefébure (1744-1809) behauptete, eine ‚so nützliche wie angenehme‘ Schokolade angerührt zu haben: Ausser als Aphrodisiakum sollte sie auch taugen, Geschlechtskrankheiten zu heilen.
Auch die Kunst jener Epoche ergriff das Thema von der Schokoladenkanne bis zur Trinkschokoladentasse: Ob in der Malerei, Graphik oder Literatur, Erotisches wird stets mit dem exotischen Gebräu assoziiert.
A long-lasting reputationEin Ruf, der sich hält
Seit der Mitte des 18. Jh. verbreitete sich Trinkschokolade, verlor damit aber ihre Aura des Wertvollen und Skandalösen und wurde alltäglich. Die im 18. Jh. erfundene Essschokolade verdrängte im folgenden Jahrhundert allmählich die Trinkschokolade, blieb jedoch Inbegriff des Genusses: Man isst Schokolade nicht zur Sättigung, sondern geniesst sie als Geschmackserlebnis. Heute sind Baci (italienisch ‘Küsse’) und Mon Chéri zu Klassikern geworden, die sich Verliebte schenken. Die Schokoladenprodzuzenten sind interessiert, den Mythos zu befeuern. So kreierte der Pariser Chocolatier Jean-Paul Hévin einen ‚dynamischen Schokoladenriegel‘ mit Ingwer und Potenzholz. Schokolade hat nach wie vor ihren festen Platz in der aphrodisischen Vorstellungswelt, den jeder geschickte Verführer kennen sollte. Deshalb warnt Roberto Schira bei der Vorstellung des neuesten Verführungsrezepts auf Schokoladenbasis den Leser: „Direte: ancora cioccolato? Sì, ancora, e se vi chiedete il perché avete sbagliato libro.“ („Sie werden sagen: Schon wieder Schokolade? Ja, schon wieder, und wenn Sie sich fragen: Warum?, dann haben Sie das falsche Buch.“
Schokolade und Valentinstag
Der Ursprung des Valentinstags als Fest der Liebenden soll in England liegen und auf das Werk von Geoffrey Chaucer und die Minnedichtung des 14. Jh. zurückgehen. Die Bedeutung verschenkter Schokolade als Mittler von Genuss und Liebe tritt jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. auf. In Japan will der Brauch, dass Frauen den Männern im privaten wie beruflichen Kreis Schokolade schenken. Um emotionalen Missverständnissen vorzubeugen, werden verschiedene Schokoladenarten verschenkt: Giri-choko (die obligatorische Schokolade) an respektierte und chō-giri (die Schokolade minderer Qualität) an weniger geschätzte Kollegen. Honmei-choko (die Schokolade des wahren Gefühls) ist dem Geliebten vorbehalten, während Tomo-choko (die Schokolade der Freundschaft) Freunden geschenkt wird. Diese noch junge Tradition ist bereits so stark, dass im Jahr 2013 Giri-choko-Automaten am Bahnhof Shinjuku in Tokio aufgestellt wurden
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