Ernährungssicherung
Die Industrie vermag heute Lebensmittel in grossen Mengen herzustellen. Dennoch sind diese in bestimmten Regionen wegen schwieriger Infrastruktur oder fehlender Transportmittel nicht verfügbar. Bis in die 1970er Jahre hing Ernährungssicherung vom Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf den Märkten ab. Sie wurde neu definiert, als man erkannte, dass hungernde Menschen ihre Nahrung weder produzieren noch kaufen können, selbst wenn sie in Regionen mit Überschussproduktion leben.
Ein Konzept für Ernährungssicherung
Auch wenn das Recht auf ausreichende Nahrung Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 war, geht der Ausdruck Ernährungssicherung auf die 1970er Jahre zurück. Vor dem Hintergrund von Krisen (Hungersnöte in Indien, Bangladesch, Sahel-Zone) und der Preisexplosion auf den internationalen Märkten, definierte die FAO 1974 Ernährungssicherung als das Vermögen, auf internationaler Ebene „jederzeit über eine adäquate Menge von Grundnahrungsmitteln zu verfügen, die den gestiegenen Verbrauch befriedigen und Produktions- sowie Preisschwankungen ausgleichen kann.“
Das Konzept entwickelte sich weiter und nahm in den folgenden Jahren grössere Dimensionen an. 1996 wurde Ernährungssicherung auf dem Welternährungsgipfel in Rom neu definiert: Alle Menschen müssen zu jeder Zeit Zugang zu ausreichender, sicherer, nährreicher und ihren Ernährungspräferenzen entsprechender Nahrung haben, um ein aktives und gesundes Leben führen zu können.
Die quantitative Sicherheit wurde mithin um den qualitativen Aspekt erweitert. Obwohl sich beide Konzepte ergänzen, halten Analytiker sie getrennt, wenn sie einerseits von quantitativer, andererseits von qualitativer Ernährungssicherung sprechen.
Unterschiedliche Ansätze
Mehrere, sich nicht widersprechende Theorien haben das Konzept der Ernährungssicherung beeinflusst und weiterentwickelt.
Eine wachsende Bevölkerung nicht ernähren zu können, ist eine alte, wiederkehrende Befürchtung. Bis zum Ende der 1970er Jahre hing die unsichere Ernährungslage vom Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ab. Um die im Wachstum begriffene Bevölkerung zu ernähren, vertraute man ab den 1960er Jahren auf die produktive Intensivierung der Landwirtschaft. Gleichzeitig wurde auch die industrielle Produktion gesteigert.
Dieses Konzept stiess jedoch Ende der 1970er Jahre an Grenzen und wurde in Frage gestellt: Auch wenn die Nahrungsressourcen ausreichten, hatten Bevölkerungen aufgrund ihrer Armut dennoch keinen Zugang. Dies gilt auch weiterhin, denn die aktuelle Weltproduktion reicht theoretisch zur Ernährung der gesamten Weltbevölkerung aus.
Ernährungssicherung muss also vor einem komplexen sozioökonomischen Hintergrund betrachtet und eng mit dem Kampf gegen Armut verbunden werden; wirtschaftliches Wachstum ist dafür unverzichtbar. Der Schwerpunkt wird auf das Individuum und die Familie sowie soziale Ungleichheit gelegt. Jeder sollte Zugang zu den benötigten Lebensmitteln haben, indem er entweder Land bearbeitet oder ausreichende Kaufkraft besitzt. Massnahmen zur Aufwertung bäuerlicher Familienbetriebe, zum Infrastrukturausbau, zu Ausbildung oder Verbesserung der sozialen Schutzsysteme sind dafür Voraussetzung.
Ökonomisch ist Ernährungssicherung mit der Liberalisierung der Märkte und internationalem Handel verbunden. Länder ohne wettbewerbsfähige Lebensmittelproduktion, dafür aber mit anderen Ressourcen, müssen auf den internationalen Markt zurückgreifen können, um Lebensmittel zu erwerben. Solche Abhängigkeit kann bei Preisschwankungen oder politischen Spannungen allerdings Folgen haben.
Ernährungswissenschaftler sehen schliesslich Mangelernährung als Problem an, das die ganze Welt betrifft. Sie lässt sich nicht nur mit ausreichender, gleichzeitig nährreicher und gesundheitlich unbedenklicher Nahrung erreichen; es gilt auch Ernährungsgewohnheiten zu beachten, denn nicht zuletzt hat Nahrungsaufnahme auch eine sinnliche, soziale und kulturelle Dimension.
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