Veganismus und Tierrecht ‒ militante Bewegungen in der westlichen Welt
Animal Liberation Front (Tierbefreiungsfront), Allies for Liberation, Animal Rebellion: Diese und andere Gruppen rufen zum Handeln gegen Tierausbeutung auf...
Animal Liberation Front (Tierbefreiungsfront), Allies for Liberation, Animal Rebellion: Diese und andere Gruppen rufen zum Handeln gegen Tierausbeutung auf. So gesehen ist Veganismus, der den Konsum von Produkten aus ausbeuterischer Herstellung ablehnt, logische Folge und konkrete Umsetzung dieses Aufrufs. Die militanten Gruppen stammen aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Milieus. Die meisten entstanden lokal und liessen sich durch bekannte Bewegungen wie die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung oder die Suffragetten inspirieren. Heute steigt die Zahl der Gruppierungen ständig, was die militante vegane Welle zur globalen, polyfonen Bewegung macht.
1780
Jeremy Benthams Frage des Leidens
Jeremy Bentham, Jurist und Philosoph, gilt als Vater des Utilitarismus. Sein Denken ging vom hedonistischen Prinzip aus: die Menschen verstehen ihre Interessen nur in Verbindung mit Freude und Leid und richten ihre Handlungen so aus, dass sie möglichst viel Freude bereiten. Bentham sprach sich sein Leben lang für individuelle Freiheit, Abschaffung der Sklaverei, Gleichstellung der Geschlechter und Entkriminalisierung der Homosexualität aus. In seinem Buch An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung) von 1780 vergleicht er Tierausbeutung mit dem Horror menschlicher Sklaverei. Darin stellt er Fragen, die Jahrhunderte später das antispeziesistische Denken prägen sollten: „The question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer? (Die Frage ist nicht 'Können sie [die Tiere] denken?' oder 'Können sie reden?', sondern ‚Können sie leiden?').“ Dennoch verzichtete er in seiner Ernährung nicht auf Tierprodukte.
1847
Band of Hope und die Abstinenzbewegung
Im 19. Jh. entstanden Abstinenzvereine, um die Bevölkerung für den Alkoholismus zu sensibiliseren, der als die Plage des Jahrhunderts galt. Als Teil dieser sozialen Bewegung gründete sich in England im Schutz der Kirche die Band of Hope. Der Wohltätigkeitverein diente einige Jahre später jenen Vereinigungen als Modell, die die Jugend für das Tierwohl interessieren wollten.
1875
Die Tierschutzgesellschaften Bands of Mercy
Die in England aus der Abstinenzbewegung hervorgegangenen Tierschutzorganisationen Bands of Mercy wollten Kindern und Jugendlichen ein freundliches Verhalten gegenüber Tieren beibringen. Die lokal geführten Organisationen konzentrierten sich auf praktische Aktionen wie Tiernotrettung oder Erziehung gegen Tiergrausamkeit. Sie bereiteten den Weg für die späteren Tierschutzorganisationen (RSPCA in Grossbritannien, MSPCA in den Vereinigten Staaten, SPA in Frankreich, STS in der Schweiz). Auch die in den 1970er Jahren entstandene Animal Liberation Front (Tierbefreiungsfront) basierte auf dem Modell der Bands of Mercy.
1883
LSCV – Schweizer Liga gegen Vivisektion
1876 entstand in England die erste Organisation gegen Tierversuche, die das englische Parlament dazu brachte, das erste Gesetz zu Tierexperimenten anzunehmen. Zeitgleich ernannte die medizinische Fakultät in Genf einen Professor, der für seine Versuche an lebenden Tieren bekannt war. Da der Genfer STS sich der Ernennung nicht widersetzte, traten mehrere Mitglieder aus dem Verein aus und gründeten die Genfer Liga gegen Vivisektion. 1978 verabschiedete die Generalversammlung neue Statuten und agierte fortan als Schweizer Liga gegen Tierversuche und für die Rechte des Tieres (LSCV).
1932
SAFE Animal Action Network
Die neuseeländische Organisation SAFE gründete sich 1932, als ehrenamtliche Mitarbeiter eine lokale Sektion der British Union for the Abolition of Vivisection aufbauten. Seither verbreitet SAFE seine Werte über Bildungsprogramme, politisches Engagement, Gesetzesinitiativen und Förderung eines veganen Lebensstils.
1963
Hunt Saboteurs Association
Die der League Against Cruel Sports (Liga gegen grausame Sportarten) angegliederte Hunt Saboteurs Association organisierte sich 1963 in Grossbritannien. Sie sabotiert in praktischen Aktionen die Jagd, indem sie Jagdhunde heimlich füttert und die Fährten der gejagten Tiere mit ungefährlichen chemischen Produkten bestreut. Die Vereinigung gehörte zu den ersten, die mit Ultraschall gegen Hetzjagden experimentierte.
1975
Das Grundlagenbuch von Peter Singer
Animal Liberation ‒ Die Befreiung der Tiere ist ein Buch des australischen Philosophen Peter Singer. Obwohl er nicht als Erster das Verhältnis von Mensch und Tier aus ethischer Sicht thematisierte, gilt sein Werk als fundamental für das Verständnis der heutigen Tierrechtsbewegung. Das in mehreren Auflagen erschienene Buch wurde in fast 15 Sprachen übersetzt. Ausgehend vom Bentham’schen Utilitarismus argumentiert Peter Singer, dass die Interessen der Tiere aufgrund ihrer Leidensfähigkeit berücksichtigt werden müssen. Er prangert die Nutzung von Tieren an, die er für ungleich hält und mit der Diskriminierung von Frauen oder Schwarzen in westlichen Ländern vergleicht.
1976
Animal Liberation Front
1971 baute ein Rechtsstudent aus Luton (UK) eine lokale Gruppe der Hunt Saboteurs Association auf und nannte sie mit Blick auf die englischen Organisationen des 19. Jhs. Band of Mercy. Ihre gewaltsamen Aktionen gegen Jäger, Tierzüchter und Pharmaherstelle wie Materialplünderungen, Brandanschläge und Tierbefreiungen brachte die Mutterorganisation HSA dazu, sich von ihr zu distanzieren. Nach ihrer Verurteilung zu drei Jahren Haft 1974 traten die beiden Gründungsmitglieder in Hungerstreik, um vegane Nahrung und Kleidung zu erzwingen. 1976 nannte sich die Gruppe in Animal Liberation Front (Tierbefreiungsfront) um, die sich als revolutionäre Bewegung versteht. Heute ist sie in über 40 Ländern mit praktischen Aktionen tätig. Länder wie Grossbritannien und die USA stufen sie als Inlandsterroristen ein. Ihre Aktionen gelten oft als illegal.
1980
PETA
1980 gründeten Alex Pacheco und Ingrid Newkirk, die beide in einem Tierheim arbeiteten, in den USA die Organisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals – Menschen für die ethische Behandlung von Tieren). Ihre Aktionen richten sich gegen vier Themen: Massentierhaltung, Pelztierhaltung, Tierversuche und Tiere in der Unterhaltung. PETA ist weltweit die grösste Tierrechtsorganisation. Sie zählt über drei Millionen Mitglieder, darunter auch Prominente, die als ihre Botschafter auftreten.
1983
In Defense for Animals (Im Einsatz für Tiere)
Die in Kalifornien von einem Tierarzt gegründete Organisation kämpft gegen die Nutzung von Tieren in der Forschung, der Nahrungsmittel- und Textilindustrie, der Unterhaltungsbranche und anderen Bereichen. Ihre Aktionen bestehen in erster Linie aus gewaltfreiem zivilem Ungehorsam und öffentlichen Kundgebungen.
1988
Der gewagte Vergleich von Marjorie Spiegel
Vor über 30 Jahren veröffentlichte Marjorie Spiegel ihr Buch The Dreaded Comparison (Der gefürchtete Vergleich) mit einem Vorwort von Alice Walker, der Autorin von Die Farbe Lila. Darin setzt sie anhand von Abbildungen und Zeitzeugenberichten Tierausbeutung mit der Versklavung von Menschen gleich. In der Verbindung der beiden als unmoralisch und repressiv erachteten Praktiken eröffnet sie dem militanten Veganismus die Möglichkeit, sich in die aus dem Kampf gegen die Sklaverei hervorgegangenen Freiheitsbewegungen einzureihen. Heute sehen sich viele Veganer*innen in dieser Tradition, während andere sie vehement ablehnen.
1990
Carol J. Adams und der antispeziesistische Feminismus
Das Buch The Sexual Politics of Meat (Geschlecht und Herrschaft des Fleisches) gründet auf der Idee der „abwesenden Referenz“, d.h. der Nichtberücksichtigung. Die Autorin zieht Parallelen zwischen Tierausbeutung und männlicher Herrschaft. Die unterdrückten Gruppen (Tiere und Frauen) sind die abwesende Referenz; ihre Existenz spielt weder beim Verzehr von Fleisch noch bei der Herstellung von Milchprodukten irgendeine Rolle. Dadurch lässt sich Veganismus als Kritik am Patriarchat verstehen. Das Buch fand grossen Anklang in der Presse, The New York Times sprach gar von der „Bibel der veganen Gemeinde“.
1993
Swissveg
Die Schweizer Organisation Swissveg sieht sich als grösste Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen in der Schweiz. Seit 1993 setzt sie sich mit politisch und konfessionell unabhängiger Öffentlichkeitsarbeit dafür ein, den Fleischkonsum dauerhaft zu senken und eine pflanzliche Ernährung zu fördern.
2003
Pardido Animalista PACMA – eine antispeziesistische politische Partei
Die in Spanien gegründete PACMA ist eine der ersten politischen Parteien, die Antispeziesismus zum Ziel hat. Sie setzt sich für Wohl und Lebensrecht von Tieren ein. Bei den politischen Wahlen 2015 erhielt die PACMA zwar über eine Million Stimmen, konnte sich aber keinen Sitz im Parlament sichern.
2005
Earthlings– Ein Dokumentarfilm mit berühmten Namen
Mit der Stimme von Joaquin Phoenix und der Musik von Moby illustriert Regisseur Shaun Monson in seinem Film Earthlings (Erdlinge) verschiedene Formen von Tierausbeutung, die uns täglich begegnet ‒ sei es bei Haustieren oder Tieren als Quelle für Nahrungsmittel und Textilprodukte. Der Film verweist auf Verbindungen zwischen Speziesismus, Rassismus, Sexismus und anderen Unterdrückungsmethoden und lebt von Bildern, die mit versteckter Kamera in Tierzuchtbetrieben gefilmt wurden. Für viele Veganer*innen war der Film mit ein Auslöser für den Entschluss, ihre Ernährungs- und Lebensweise zu ändern.
2008
L214
Die französische Vereinigung L214 Éthique & Animaux (Ethik und Tiere) wurde von vegetarischen Aktivisten von „Stop Gavage“ (Stop dem Gänsestopfen) gegründet. Der Name kommt von Artikel L214 des französischen Agrargesetzbuches, der Tiere erstmals als empfindsame Wesen bezeichnet und ihnen entsprechende Lebensbedingungen zuerkennt. Heute sind die Aktivitäten auf Tiere in der Lebensmittelproduktion gerichtet. Besonders bekannt sind die mit versteckter Kamera aufgenommenen Videos in Zucht- und Schlachtbetrieben, die in diversen französischen Medien gezeigt werden.
2016
Boucherie Abolition – ‘Weibliches Wesen’ und ‘Geschlechtsspeziesismus’
Die 2016 gegründete Boucherie Abolition (Abolitionismus-Schlachterei) ist eine umstrittene französische Organisation, die sich mit direkten Aktionen für Tierrechte einsetzt. Mit Neologismen, Kriegsvokabular und Konzepten aus der feministischen Literatur wie z.B. von Carol J. Adams weitet sie ihre Gleichstellungsforderungen auf alle weiblichen Wesen gleich welcher Spezies aus. Ihre Mitglieder stehen dem Veganismus sehr kritisch gegenüber. Eine vegane Lebensweise ist ihrer Ansicht nach zu passiv und reicht nicht, um die Traditionen zu ändern und die Stellung von Tieren in unserer Gesellschaft neu zu justieren.
2016
Die sozialen Netzwerke als Streitplattformen
Viele militante Gruppierungen und Vereinigungen entstanden mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke. Plattformen wie Twitter und Facebook „demokratisierten“ auf lokaler als auch globaler Ebene die Informationsverbreitung. Damit bereiteten sie den Weg für zahlreiche, immer grösser werdende vegane Bewegungen wie Animaux Rébellion in der Schweiz und weltweit.
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