Die ketogene Diät
Seit kurzem begeistert die ketogene Diät die ganze Welt, obwohl deren Credo „Weg mit dem Zucker, es lebe das Fett“ zunächst wenig einleuchtet...
Ei, Avocado, fetter Fisch, Nüsse… Die ketogene Diät ist nicht gerade light! ©Shutterstock/George Dolgikh
Die ketogene Diät oder LCHF (low-carb, high-fat, wenig Kohlenhydrate, viel Fett) ist stark im Kommen und hat Paleo-Diät und Veganismus in der Google-Suche überholt. Sie wird im Westen sogar zur Kultbewegung, die von Berühmtheiten unterschiedlichster gesellschaftlicher Bereiche vertreten wird – mit eigenem Festival in Quebec.
Abnehmen mit Fett?
Es scheint, als ob Fett essen Gewicht verlieren hilft. Doch ist das möglich? Ja – unter der Bedingung, dass wir links liegen lassen, was alle so lieben: Zucker in all seinen Erscheinungsformen wie Getreide, Hülsenfrüchte, Obst, zu schweigen von Nachspeisen und Süssgetränken, die eigentlich ohnehin nur in geringen Massen genossen werden sollten. Das Prinzip hinter diesen LCHF-Diäten ist simpel: anders als bei Proteinen und Fetten benötigen wir keine Kohlenhydrate in der Nahrung, da sie keine essenziellen Nährstoffe darstellen1.
Die Pyramide steht kopf – der ‚Kampf der Makronährstoffe‘
Die LCHF-Diäten kehren die seit mehr als 50 Jahren die Ernährungsempfehlungen in den Industrieländern beherrschende Ernährungspyramide um: Fette ersetzen die Kohlenhydrate auf den Tellern. So besteht ein typischer LCHF-Teller aus 70% Fetten, 25% Proteinen und 5% Kohlenhydraten. Die in den 1970er Jahren populäre Atkins-Diät ist eine Variante davon.
Ist diese Begeisterung für ketogene Ernährung gar nicht so sehr die Rehabilitierung der Fette, als vielmehr ein Hinterfragen des Zuckerkonsums? ‚Keto essen‘ heisst auch, Stellung beziehen im ‚Kampf der Makronährstoffe‘4, in dem sich ‚Fett-Gegner‘ und ‚Zucker-Gegner‘ befehden. Zwischen Wunderglauben, Anekdoten und übertriebenen Selbstzeugnissen in den sozialen Netzwerken ist schwer der Durchblick zu behalten. Seit Jahrzehnten divergieren die Meinungen – selbst unter Wissenschaftlern. Auf der einen Seite sehen wir Dr. Ancel Keys mit seiner Sieben-Länder-Studie (1958) über den Zusammenhang zwischen hohen Cholesterinwerten, Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Seine Ergebnisse verurteilen die Fettzufuhr in der Ernährung, trotz verzerrter Vergleichbarkeit5. Auf der anderen Seite steht John Yudkin mit Pure, White and Deadly (1972), das dem Zuckerkonsum den Schwarzen Peter zuschiebt. Doch da dessen Theorie staatlicherseits kaum unterstützt wurde, vergass man sie schnell. Mit den 1990er Jahren erreichte die Angst vor Fetten den Höhepunkt durch Studien, die einen Zusammenhang von fettem Essen und Krebsrisiko herstellten6. Auf Basis unterschiedlicher, aber schlüssiger Untersuchungen zur Ernährung und bei fehlenden anderslautenden Thesen haben die Gesundheitsbehörden im Lauf der Jahre ausgewogene Ernährungsmodelle auf Kohlenhydratbasis erarbeitet und immer wieder angepasst. Die Lebensmittelbranche reagierte darauf mit der Herstellung fettarmer Produkte.
Doch seit Ende der 1990er Jahre steht die Frage angesichts zunehmender Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erneut auf der Tagesordnung. Alarmierend ist, dass der durchschnittliche BMI7 der Bevölkerung seit den 1970er Jahren steigt8. Ist etwa Zucker die Ursache?9 Die Wahrheit scheint komplizierter zu sein, denn bei identischen Energiewerten verhält sich der Körper je nach dem Typ des gegessenen Kohlenhydrats unterschiedlich10. Immer mehr Ernährungsberater und Ärzte greifen auf LCHF-Diäten zurück, um Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit, hohen Cholesterinspiegel, Glukose-Intoleranz, Insulin-Resistenz und Typ-2-Diabetes zu behandeln – mit mehr oder minder befriedigenden Ergebnissen11.
Wer hat Recht?
Die Wissenschaft kann nichts sagen über langfristige Wirkungen der LCHF-Diäten auf den menschlichen Körper; sie wären nur schwer zu ermitteln12, obwohl der Einsatz ketogener Diäten medizinisch keineswegs neu ist. Sie werden bei einigen schweren Gesundheitsproblemen verordnet, mit mehr oder weniger überzeugenden Ergebnissen – oft, wenn Medikamente nicht mehr helfen – wie es seit hundert Jahren bei Epileptikern mit Medikamentenresistenz der Fall ist13. Jüngere Forschungen deuten allerdings auf interessante Resultate bei der Alzheimer-Krankheit14, die manche Forscher sogar als „Typ-3-Diabetes“ bezeichnen15. Generell gilt zu bedenken, dass es sich in erster Linie um eine medizinische Diät handelt, die nicht primär Gewichtsverlust bezweckt, sondern deren Verordnung die zu erwartenden Vor- und Nachteile bewertet16. Deshalb ist es ratsam, ärztlichen Rat einzuholen, ehe man sich ins Keto-Abenteuer stürzt, um ein paar überflüssige Kilos zu verlieren.