Das Ghee
Im Hinduismus spielen Milchprodukte eine besondere Rolle: Sie sind sowohl rituelle Opfergaben als auch tägliche Nahrung. Vor allem das aus zu Butter geschlagenem Joghurt hergestellte Ghee (eine Art Butterschmalz) schätzen Hindus wegen seines Geschmacks und seines Nährstoffgehalts.
Eine lange Tradition „reiner“ Nahrungsmittel
Milchprodukte geniessen im Hinduismus hohes Ansehen. Nach der hinduistischen Mythologie sind das Weltall und die Erde durch das Schlagen („Quirlen“) eines Milchozeans entstanden. Die Anthropologin Marie-Claude Mahias interpretiert das Schlagen der Milch (die Umwandlung der Milch in Butter) im hinduistischen Schöpfungsmythos als einen Vorgang „des Ordnens des chaotischen Urzustandes der Welt“. Milch, Joghurt und Ghee (abgeleitet aus Sanskrit: ghrita für „geklärte Butter“) finden sich als Opfergaben auf Altären und gelten als Götterspeise. Der Konsum dieser Produkte gehört seit dem ersten Jahrtausend v.u.Z. zur indischen Ernährung.
Besonders beliebt sind in Ghee (Butterschmalz aus geklärter Butter) frittierte Speisen. Sie zählen zur Gattung pakka, zum Gekochten, Stabilen und Reinen. Nahrung mit der Bezeichnung kacha wird dagegen als schwach und unrein angesehen. Noch heute ist mit Ghee zubereitete, als pakka bezeichnete Nahrung, ein festliches und schmackhaftes Mahl, das als Zeichen der Gastfreundlichkeit serviert oder verschenkt wird. In der traditionellen ayurvedischen Medizin wird Ghee ausserdem angewendet, um die Verdauung zu fördern oder Verbrennungen der Haut zu behandeln.
Zubereitung und Verwendung von Ghee in Indien
In Indien wird Ghee aus Joghurt hergestellt. Das Schlagen des Joghurts zur Butter geschieht traditionell in einem Terrakottabehälter: Der Joghurt wird solange geschlagen, bis sich Butterstücke bilden. Dann wird die so entstandene Butter aufgekocht. Dadurch verdunstet das Wasser, die Kaseinpartikel (Milchproteine) setzen sich am Boden ab, und schliesslich wird das Ganze gefiltert. Zusätzlich zu den geschmacklichen Vorzügen hat Ghee den Nutzen, sich wochenlang geniessbar zu halten.
In der indischen Küche wird Ghee je nach Verdienst mehr oder weniger verwendet, da es teuer ist. Wenn es in Speisen grosszügig eingesetzt wird, ist das ein Zeichen für Wohlstand und Ansehen einer Familie. Ghee wird in Süssigkeiten verarbeitet oder in fertige Gerichte, Fladen, Curry oder Brei gemischt. Als Fett zum Garen und Frittieren wird Ghee oft durch hydrierte Pflanzenöle ersetzt, die preiswerter sind, aber genauso aussehen.
Neue Ernährungsgewohnheiten
Als Ausweis von Besitz sind Nahrungsmittel mit hohem Kaloriengehalt in Indien nach wie vor gefragt - wie die Vorliebe für Ghee und Süsswaren zeigt. Seit etwa 15 Jahren regt sich in der Ärzteschaft Besorgnis hinsichtlich gesundheitlicher Auswirkungen dieser zu reichhaltigen und fettigen Kochtradition. Privilegierte Gesellschaftsschichten gehen deshalb zu einer leichteren Küche über, um ihre Gesundheit zu fördern und dem neuen Schlankheitsideal zu entsprechen. Ein Beleg dafür sind die immer zierlicher aussehenden Schauspielerinnen in Bollywood-Filmen.
Cousin Françoise, 1999. Des aliments fermentés au Rajasthan (Inde). Ferments en folie. Vevey : Fondation Alimentarium.
Assouly, Olivier, 2002. Les nourritures terrestres. Paris : Actes Sud.
Quien, Aleandra, 2007. Dans les cuisines de Bombay. Paris : Éditions Karthala.
Mahias, Marie-Claude, 2002. Le barattage du monde. Partis : Éditions de la Maison des sciences de l’homme.