Tee in Russland
Im 19.Jh. begeistert sich die Bevölkerung in ganz Russland für Tee. Es entwickelten sich um dieses Getränk ganz eigene Bräuche, die weit über die Grenzen Russlands ausstrahlten. Dem verdanken wir den „russischen“ Tee, aber vor allem den Samowar, der zum Symbol für Gastfreundschaft wurde.
Ein Tee für alle
Tee kam durch die Karawanen aus der Mongolei nach Russland. Er blieb lange Zeit ein Getränk des Adels und wurde nur in den Städten getrunken. Im 19.Jh. jedoch erweiterte sich sein Erfolg, und Teekonsum hielt Einzug in alle Gesellschaftsschichten. Man trank mehrere Tassen täglich - zu Hause oder in öffentlichen Lokalen, mit der Familie, unter Freunden oder um geschäftliche Dinge zu besprechen. Tee ist in Russland ohne den Samowar undenkbar - auch in der einfachsten Hütte. Im Samowar kann das Teekonzentrat über Stunden warm gehalten werden. Russische und ausländische Schriftsteller schildern das Trinkritual rund um den Samowar und das Wohlbefinden, das es erweckt.
Der Samowar: Thermoskanne und Teekessel
Das System des Samowars ist raffiniert. Im unteren Teil wird Wasser durch eine Hitzequelle erwärmt. Die mit dem Teekonzentrat gefüllte Teekanne steht zuoberst auf dem Samowar und bleibt somit warm. Ist das Wasser heiss (es darf nicht kochen), wird das Konzentrat in Tassen oder Gläsern mit dem heissen Wasser aus dem Samowar-Hahn aufgefüllt und auf Trinkstärke verdünnt. Im 18.Jh. wurden die ersten Samoware in Russland hergestellt. Die renommiertesten stammten aus Tula (südlich von Moskau). Sie bestanden aus Kupfer, Bronze oder Silber; auch seltene Stücke aus Porzellan oder Glas haben sich bis heute erhalten. Der Erfolg des Samowars beschränkt sich nicht nur auf Russland: Man findet ihn in der Türkei, im Iran, in Marokko oder Aserbaidschan.
Der Geschmack des russischen Tees
Die Russen bevorzugten traditionell einen starken schwarzen und anregenden Tee, der aus China kam. Sie liessen einen Löffel voll Zucker oder Konfitüre im Mund schmelzen, bevor sie tranken. In seinem Grossen Wörterbuch der Kochkunst schrieb Alexandre Dumas: „Den besten Tee trinkt man in Sankt Petersburg und im Allgemeinen in ganz Russland“. Mischungen verschiedener Teesorten (darunter der berühmte Lapsang Souchoung, ein schwarzer Rauchtee) wurden für dieses Land geschaffen und kamen im 19.Jh. überall in Europa in Mode. Man sprach vom „russischen Geschmack“. Auch heute noch ist es möglich, Tee mit „russischem Geschmack“ im Handel zu kaufen, aber die Mischungen sind nicht mehr dieselben. Die berühmteste wurde vor etwa fünfzig Jahren kreiert. Tee wurde mit Bergamotte, ursprünglich nicht Bestandteil russischen Tees, zu Earl Grey aromatisiert, eine Mischung, die viele Liebhaber fand. Es konnten auch noch zusätzliche Zitrusnoten beigemischt werden.
Von der Tasse zum Glas
In seinem Grossen Wörterbuch der Kochkunst berichtet Alexandre Dumas, dass die ersten Teetassen in Kronstadt (westlich von Sankt Petersburg) produziert wurden. Sie zeigten auf dem Boden die Stadtansicht. Einige skrupellose Wirte schenkten aus Sparsamkeit nur wenig Teekonzentrat ein, so dass der Gast durch das zu schwache Getränk die Ansicht von Kronstadt sehen konnte. Statt stärkeren Tee anzubieten, der den Blick auf die Stadt verhindert hätte, kam ein Händler auf die Idee, die Tasse durch ein Glas ohne Bild zu ersetzen. Vielleicht ist das nur eine Legende - aber es stimmt, dass Tee auch aus Gläsern mit Haltern und Henkeln getrunken wurde.
TOUSSAINT-SAMAT, Maguelonne, 1997. Histoire naturelle et morale de la nourriture. France : Larousse
PERRIER-ROBERT, Annie, 1999. Le thé. Paris : Éditions du chêne - Hachette Livre.
CHA SANGMANEE, Kitti, DONZEL, Catherine, MELCHIOR-DURAND, Stéphane, STELLA, Alain, 1996. L’ABCdaire du thé. Paris : Flammarion.